Anonym - Briefe der Lust
Absätzen auf und ab. Ich griff nach den Aktenordnern und baute sie als ordentlichen Stapel vor mir auf dem Schreibtisch auf, um ihm zu zeigen, dass ich mich darum kümmern würde. Nicht auf der Stelle, und ich würde mir deswegen auch kein Bein ausreißen, aber es würde geschehen.
„Da ist noch etwas anderes, worüber ich gern mit Ihnen reden würde, Paige.“
Ich musterte ihn einen Moment und versuchte herauszufinden, worum es gehen könnte, dann nickte ich. „Sicher. Worüber?“
„Können Sie in zehn Minuten in mein Büro kommen?“
Er fragte, als würde er befürchten, ich könnte Nein sagen, obwohl wir beiden wussten, dass ich in Anbetracht meiner Position keine Wahl hatte. „Natürlich.“
„Danke.“ Er war immer höflich gewesen, doch jetzt bebte er vor verborgener Angst.
Ich wusste viel über meinen Boss. Einige Dinge hatte ich von Anfang an gewusst, andere im Laufe der Zeit erfahren. Alles in allem mochte ich Paul sehr. Was auch immer ihn jetzt umtrieb, er würde nicht in der Lage sein, sich um seine Arbeit zu kümmern, bevor es geklärt war.
„Holen Sie sich eine Tasse Kaffee“, riet ich ihm. „Ich schicke nur rasch diese Berichte weg und komme in zehn Minuten zu Ihnen.“
Ich musste ihm keine Erlaubnis zum Kaffeetrinken erteilen, und es war auch nichts, was er nicht selber hätte entscheiden können, aber die Erleichterung, die ich in seinen Augen sah, machte mich froh, dass ich es gesagt hatte. Während er sich Kaffee einschenkte, ging ich die Berichte durch und machte mir Notizen darüber, was ich wohin schicken musste, dann verschwand ich rasch den Flur entlang, um auf die Toilette zu gehen und hinterher ein paar Kopien zu machen. Ich beeilte mich, damit ich rechtzeitig wieder da war, um mit ihm zu reden.
Als ich die Tür zu seinem Büro öffnete, saß er in seiner gewohnten vorgebeugten Haltung hinter seinem Schreibtisch, aber er wandte mir sofort seine Aufmerksamkeit zu. „Hi, Paige. Würden Sie sich bitte setzen?“
Das tat ich und sah zu, wie sein Blick über meine entblößten Knie huschte, als ich die Beine übereinanderschlug. „Ist etwas nicht in Ordnung?“
„Nein. Es ist alles okay. Ich wollte einfach nur … mit Ihnen reden.“
Ich wartete. Paul atmete tief ein und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um sich mit der Hand über den Kopf zu streichen. Er hatte sein Jackett ausgezogen, aber seine Krawatte saß immer noch wie festgewachsen an seiner Kehle. Schließlich räusperte er sich, und ich musste weitere zehn Sekunden warten, bis er weitersprach.
„Es geht um Ihre Leistung.“
Ich richtete mich auf meinem Stuhl auf. „Ja?“
„Ihre erste Bewertung ist schon seit einiger Zeit überfällig.“
Das verstand ich. Wie bei den meisten Firmen gab es auch bei Kelly Printing jährliche Mitarbeiterbewertungen, aber sie hatten auch eine Probezeit für neue Angestellte. Das hatten sie mir bei meiner Einstellung gesagt. Während der ersten sechs Monate konnte man jederzeit auf die Straße gesetzt werden, wenn man den Erwartungen nicht entsprach. Es war kaum zu glauben, dass ich erst so lange hier arbeitete. Es fühlte sich wie die Ewigkeit an.
Wieder wartete ich, dass er weitersprach. Das war eine von Pauls Eigenarten. Er nahm sich Zeit, bevor er etwas sagte. Ich dachte, das tat er, weil er jedem seiner Worte eine Bedeutung geben und seinen Wert ermessen wollte. Anders als beim Schreiben kann man das, was man gesagt hat, nicht wieder ausradieren.
„Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass ich Ihnen die höchste Bewertung geben werde, das ist alles. Und ich werde Sie für das Fortbildungsprogramm empfehlen.“
Mein erfreutes Lächeln fühlte sich seltsam auf meinem Gesicht an, weil ich erwartet hatte, es in sorgenvolle Falten legen zu müssen. „Wirklich? Toll. Vielen Dank, Paul.“
Er schien sich ein wenig besser zu fühlen, nachdem er es mir gesagt hatte, dennoch spielte er immer noch nervös mit seinem Kugelschreiber herum. Er rollte ihn bis zur Kante der Schreibunterlage, dann darüber hinweg. Der Stift fiel mit einem scharfen Klicken auf die Schreibtischplatte.
„Das mache ich gerne. Ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit.“
„Es macht mir Spaß, für Sie zu arbeiten.“
Er nickte kurz und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kugelschreiber. „In der Firma sind einige gute Positionen zu vergeben. Eine besondere Empfehlung würde … hm … den Weg zu einigen von ihnen ebnen.“
Das waren interessante Neuigkeiten, und ich wusste nicht recht,
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