Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
ungläubig.
»Frisch gefangen und eingemacht«, sagt Ray und klettert in seinen Lagerbereich. »Allerdings habe ich ihn nicht selbst gefangen.«
»Wer denn dann?«
»Ein Freund von mir«, sagt Ray und kehrt mit einem Einmachglas und drei Bier zurück. Er drückt Jerry und mir jeweils eine Flasche in die Hand, dann reicht er Tom das Glas mit Thunfisch und eine Gabel.
Von meinem Platz aus sieht das Zeug in dem Glas genau wie das Wild aus, allerdings ist mein Sehvermögen auch nicht mehr das, was es mal war.
Tom hält das Glas gegen das Licht des Feuers, dann klemmt er es sich zwischen die Füße, schraubt den Deckel auf und nimmt es hoch, um daran zu schnuppern.
»Riecht nicht nach Thunfisch«, sagt Tom.
»Bin gespannt, wie’s dir schmeckt«, sagt Ray. »Ich hab’s noch nicht probiert.«
Tom spießt mit der Gabel ein Stück Thunfisch auf und legt es sich auf die Zunge. Misstrauisch runzelt er die Stirn, zumindest hat es den Anschein, doch dann piekt er in einen weiteren Bissen, diesmal mit allen drei Zinken, und
die Augenbrauen über seinem teilweise verwesten Gesicht zucken in die Höhe.
»Das ist gut«, sagt er, taucht seine Gabel erneut ins Glas und fischt ein weiteres Stück Thunfisch heraus; der Saft glänzt im flackernden Schein des Feuers, als er den Fisch von der Gabel in den Mund gleiten lässt. »Wirklich gut.«
Für die nächsten paar Minuten verstummt unser Gespräch, während Tom den Inhalt seines Glases vertilgt und Jerry sich wieder den Freuden seines Magazins zuwendet. Bevor ich mein zweites Bier ausgetrunken habe, hat Tom das Glas geleert und schabt mit den Fingern die Reste heraus.
»Wenn du willst, kannst du ein paar davon mitnehmen«, sagt Ray.
»Danke«, sagt Tom und leckt seine Finger ab. »Das wäre echt klasse.«
»Ja, ihr könnt gerne jeder ein Glas mitnehmen«, sagt Ray in die Runde. »Dafür möchte ich euch bitten, mir bei einer Sache behilflich zu sein, die ich gerne wieder in Ordnung bringen würde.«
»Sicher«, sagt Tom.
»Worum geht’s denn?«, fragt Jerry.
»Argh«, sage ich.
KAPITEL19
Wir sind in einem Chevy Lumina Baujahr 2001 unterwegs, mit Ray hinterm Steuer und Jerry auf dem Beifahrersitz. Ich hocke hinter Jerry, und zu meiner Linken sitzt Tom; er wirkt nervös und scheint sich nicht wohlzufühlen. Zusammen wirken wir, ich mit meinem zerstörten linken Arm und Tom ohne seinen rechten, wie zwei siamesische Zwillinge, die sich erst noch an die kürzlich erfolgte Trennung gewöhnen müssen.
Ray hat das Autoradio auf KPIG 107.5 eingestellt, einen Sender aus der Central Coast Region, der eine Mischung aus Country, Folk und klassischem Rock and Roll spielt. Während wir auf der Parallelstraße des Highway 1 nach Norden Richtung Innenstadt von Santa Cruz fahren, dröhnt durch den Lumina The Who’s »Magic Bus«.
Ich habe den Song Dutzende Mal gehört, doch der Background-Gesang, der aus den Boxen hinter mir kommt, leicht schräg, dennoch sehr harmonisch, ist mir neu. Allerdings kann ich kaum was verstehen, da Jerry im Falsett den Text mitgrölt.
Ich starre aus dem Fenster, während Ray fort vom Highway in ein Wohngebiet biegt, um die Hauptverkehrsstraßen zu vermeiden. Wahrscheinlich sollte ich nicht hier sein, wenn ich bedenke, dass mein Vater mich beim nächsten Furz, den ich von mir gebe, in den Zombie-Zoo verfrachten
lässt, aber was soll ich tun? Den ganzen Tag in meinem Zimmer hocken und durch die Kanäle zappen, von Reality-TV-Sendungen zu fantasielosen Sitcoms und geschnittenen, von zweihundert Werbespots unterbrochenen Filmen, die mir Produkte andrehen wollen, die ich weder kaufen noch benutzen kann?
Wenn ich schon langsam verrotten muss, dann nicht, während ich Frauentausch schaue.
»Magic Bus« wird ausgeblendet, und es kommt ein Stück von Steve Ray Vaughn. Ich kenne den Song, allerdings nicht so gut, dass ich seinen Titel wüsste. Seltsam ist dabei, dass der ungewohnte Background-Gesang von dem Who-Stück jetzt Stevie Ray begleitet.
»Du glaubst also immer noch, dass es klappt?«, fragt Tom.
Ich betrachte seine blutunterlaufenen Augen, die mich aus seinem dunklen, zerfetzten Gesicht hoffnungsvoll anstarren, dennoch ahne ich, dass seine Züge entgleisen werden, wenn ich ihm nicht sage, was er hören will.
Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung, ob es klappt. Ob wir das hier alle unversehrt überstehen. Ob das eine gute Idee ist, wenn ich bedenke, was mit Walter passiert ist.
Für einen Moment zögere ich. Trotz etwaiger Zweifel möchte ich
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