Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
rutsche und mit dem Gesicht gegen das Fenster der Hintertür knalle. »Haltet euch gut fest. Jetzt wird’s lustig.«
Bevor Jerry erneut abbiegt, zerre ich den Gurt über meinen Körper und schnalle mich an.
»Langsamer!«, ächzt Tom und hält seinen Arm umklammert, während Jerry mit quietschenden Reifen in eine scharfe Linkskurve biegt, so dass das Heck des Lumina nach rechts ausschert. »Langsamer! Langsamer!«
Das Einzige, was noch schlimmer ist, als untätig neben dem Fahrer zu hocken, ist, wenn man gerne seinen Kommentare zum Fahrstil abgeben würde, aber nicht sprechen kann. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als meiner Sorge durch Schreie Ausdruck zu verleihen.
Auf den Straßen herrscht kaum Verkehr, und den wenigen Autos, die unterwegs sind, weicht Jerry aus, indem er sie auf der Gegenfahrbahn überholt. Wir haben den Tatort inzwischen weit genug hinter uns gelassen, darum sollten wir keine Aufmerksamkeit erregen, doch Jerry ist immer noch der einundzwanzigjährige Angeber und lässt sich nichts sagen.
»Hey«, sagt Tom plötzlich, während er seinen zurückeroberten Arm betrachtet. »Das ist gar nicht meiner.«
»Nicht?«, sagt Jerry.
»Nein«, sagt Tom.
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher!«, sagt Tom mit lauter Stimme. »Hier!« Mit der linken Hand hält er den Arm am Handgelenk in die Höhe. Selbst von der Rückbank aus kann ich erkennen, dass der Arm mindestes fünf Zentimeter kürzer als Toms ist. Außerdem ist er mit dichten schwarzen Haaren überwuchert.
Während Jerry einen Volkswagen Vanagon überholt, schaut er kurz zu Tom hinüber. »Ups.«
»Ups?«, sagt Tom. »Ups?«
»Ey, Alter, da lagen bestimmt Dutzende von den Dingern rum, ich konnte ja nicht alle mitnehmen, also hab ich mir den geschnappt, der wie deiner aussah.«
»Sieht das hier etwa aus wie mein Arm?«, sagt Tom und fuchtelt damit in Jerrys Richtung.
»Tut mir leid, hab ich gesagt, Alter.«
»Und, was soll ich jetzt damit machen?«, sagt er und wirft den Arm aufs Armaturenbrett.
»Probier ihn doch mal an«, sagt Jerry.
»Anprobieren?«, sagt Tom. »Wer bin ich? Frankensteins Monster?«
Wir steuern auf eine rote Ampel zu, und Jerry fährt achtzig in einer Fünfziger-Zone. Ich stoße einen Warnschrei aus, worauf Jerry noch mehr Gas gibt. Wenn ich dazu fähig wäre, würde mir jetzt der Angstschweiß ausbrechen.
»Rote Ampel, rote Ampel, rote Ampel«, ruft Tom, vergisst für einen Moment seinen Arm und deutet mit der linken Hand auf die Windschutzscheibe.
Jerry fängt an, das Motiv aus Mission: Impossible zu summen, und tritt das Pedal erneut bis zum Anschlag durch, während Tom und ich synchron ein »Neiiiiiin!« hervorstoßen. Kurz bevor wir die Kreuzung erreichen, springt die Ampel auf Grün.
»Entspannt euch, ihr Omis« sagt Jerry. »Alles unter Kontrolle.«
Tom kauert, die linke Hand vor den Augen, im Beifahrersitz. Während ich wachsam und aufmerksam hinter Jerry hocke. Wäre ich noch am Leben, würde mein Herz jetzt wie verrückt pochen und ich hätte feuchte Hände. Doch ohne diese körperlichen Symptome bin ich seltsam entspannt. Außerdem komme ich nicht darüber hinweg, dass ich tatsächlich ein verständliches Wort von mir gegeben
habe. Offensichtlich haben weder Tom noch Jerry es mitgekriegt. Falls doch, ist es noch nicht in ihr Bewusstsein vorgedrungen, aber ich habe klar und deutlich »Neiiiiiin« geschrien. Zumindest glaube ich das. Ich will probieren, ob ich es nochmal aussprechen kann, oder etwas anderes, doch ich bin ein wenig verunsichert und verlegen, also versuche ich im Flüsterton den Steppenwolf-Song mitzusingen:
Why don’t you come with me little girl
On a magic carpet ride?
Die meisten Wörter klingen immer noch wie Kauderwelsch, aber einige spreche ich richtig aus, oder fast, und ich frage mich, ob es eine Art seltsamer kosmischer Verbindung zwischen den Songs im Radio und meiner wiedergewonnenen Fähigkeit gibt, verständliche Laute hervorzubringen.
Ist das hier ein »Magic Bus«? Werde ich immer noch sprechen können, wenn der »Magic Carpet Ride« zu Ende ist? Oder ist das erst der Anfang? Eigentlich spielt das keine Rolle. Ich weiß nur, dass ich ein paar aufregende Wochen erlebt habe und dass ich nicht abwarten kann, was als Nächstes geschieht. Vorausgesetzt, dass Jerry keinen Unfall baut und wir verbrennen.
Jerry lässt die Sau raus, er rast die Chestnut Street Richtung Highway 1 hinunter, überfährt mehrere Stoppschilder und pfeift auf die Geschwindigkeitsbegrenzung,
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