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Anruf vom Partner

Anruf vom Partner

Titel: Anruf vom Partner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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schwebte, wurde die Tür geöffnet. 
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Vor mir stand jedenfalls ein siebenjähriger Junge. »Ich bin krank«, sagte er.
    Ich hielt ihm die Hand hin. »Wie geht es dir, Krank?« Er schüttelte mir die Hand und wandte sich gleichzeitig ab, um zu kichern.
    »Ist… ist deine Mutter zu Hause?«
    »Jawoll.«
    Als nach dem ›Jawoll‹ nichts mehr kam, sagte ich: »Krank, glaubst du, du könntest sie für mich herholen?«
    Er nickte und lief durch eine Doppeltür rechts hinten.
    Ich trat ein.
    Ohne ihn zu sehen, hörte ich ihn rufen: »Mom. Mom. Da ist ein Mann, und er hat mich ›Krank‹ genannt!«
    Nach ein paar Sekunden erschien eine Frau in der Tür, hinter der Krank verschwunden war. Als sie näher trat, blickte sie nicht gleich auf, denn Krank hatte sich an ihre Jogginghose gehängt und zog sie runter. Gleichzeitig wischte die Frau sich die Hände an einem Papiertuch ab. Sie war einsfünfzig groß, hatte dunkelblondes, gelocktes Haar und bewegte sich mit gleichmäßigen Schritten. Sie trug eine mit winzigen Herzen übersäte Schürze. An jeder Hand hatte sie zwei Ringe.
    Sie schaute friedlich zu mir auf und blieb dann stehen, als wäre sie erschossen worden.
    Ich hatte ihr Gesicht noch nie gesehen. Aber es war der Frosch.
    Kein Zweifel.
    Sie war nur ganz kurz erschossen. Dann sagte sie: »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Ich glaube schon«, sagte ich.
    »Wollen Sie… wollen Sie etwas verkaufen? Oder was?«
    »Sie wissen ganz genau, wer ich bin«, sagte ich.
    »Tut mir leid. Ich nehme an, Sie haben die Adresse verwechselt …«
    »Mom«, sagte Krank. »Bist du schon fertig mit der Schüssel?«
    Sie brachte ihn zum Schweigen, und er wand sich schmollend zwischen ihren Beinen.
    Ich lächelte und sagte: »Vielleicht ist er doch nicht gar so krank.«
    »Und ob ich das bin«, sagte er, ohne wieder aufzutauchen. »Ich bin viel zu krank.«
    »Ich bin nicht hier, um Schwierigkeiten zu machen«, sagte ich. »Aber ich muß mit Ihnen und Ihren Leuten sprechen.«
    »Was für Leute, Mom?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte der Frosch.
    Um ihr zu helfen, Kranks Unterbrechungen zu vermeiden, sprach ich eine Fremdsprache. Große Worte. Ich sagte: »Erstens. Ich habe nichts, ich wiederhole, nichts Wesentliches irgendeinem Mitglied der örtlichen Vertretung der rechtspflegerischen Organe übermittelt. Noch nicht. Zweitens. Ich habe einen Zeugen ausfindig gemacht, der bestätigt, daß Ihnen jemand in das Gebäude in der Stadt gefolgt ist, von dem wir gesprochen haben. Nach Angabe dieses Zeugen hat eine Portraitzeichnerin ein Bild der Person angefertigt, die Ihnen gefolgt ist. Ich brauche Mitglieder Ihrer speziellen Interessengruppe, die sich diese Zeichnung ansehen, damit ich - wir - Fortschritte erzielen können. Aber plötzlich antwortet niemand mehr meinem Taschentuch.«
    Der kleine Bengel trat einen Schritt vor und zeigte mit dem Finger auf mich. Er sagte: »Sie sind dumm. Niemand antwortet einem Taschentuch. Taschentücher sprechen nicht!«
    Ich nickte. »Krank«, sagte ich, »du hast absolut recht.«
    »Weiß ich«, sagte er.
    »Ich bin wirklich dumm. Sehr, sehr dumm«, sagte ich. »Das liegt daran, daß ich ein vertrauensvoller Mensch bin, der den Leuten glaubt, wenn sie behaupten, ihre sozialen Verpflichtungen seien ihnen wichtig. Ich glaube sogar Leuten, die sagen, sie wollten ihre Fehler wiedergutmachen. Meine vertrauensvolle Natur bringt mich in Schwierigkeiten. Aber es kommt eine Zeit, wo sogar ich dazulerne. Und dann nehme ich den geradesten Weg, um mich aus der tiefen Scheiße, in die andere Leute mich hineingeritten haben, wieder rauszuziehen.«
    »Mom, er hat ›Scheiße‹ gesagt!«
    »Schon gut«, sagte sie.
    Ich sagte: »Sie haben meine Grenzen bis auf das Äußerste strapaziert, Mom. Irgend jemand sollte sich heute noch fernmündlich mit mir in Verbindung setzen. Und ich meine damit keinen Sie-sind-ein-Verräter-Anruf. Irgend jemand sollte bereit sein, Klartext zu reden und Arrangements zu treffen. Wir müssen kooperieren, um mein Künstlerportrait in Augenschein zu nehmen. Wir müssen uns auf ein klein wenig verbale Interaktion einlassen. Capisce?«
     
     

38
    Als ich wieder in mein Büro kam, war es Viertel vor fünf. Ich fühlte mich erschöpft. Ich war in zu wenigen Tagen in zu viele aufwühlende Situationen geraten.
    Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kann mit Emotionen fertig werden. Ich bin kein tiefgefrorener Kohlkopf. Aber es kostet mich einiges,

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