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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Häuserfronten, die Dämpfe von der chemischen Fabrik. Edgar freute sich, mich wiederzusehen. Er strahlte, klopfte mir auf die Schulter, nahm mich mit auf sein Zimmer, wo er ein großes Foto von Brecht an der Wand hatte, darunter eine Klampfe und viele Taschenbücher auf einem selbst zusammengehauenen Regal. Ich hörte ihn draußen mit seiner Wirtin schimpfen, weil sie mich nicht reingelassen hatte, dann kam er mit Schnaps zurück, erzählte mir strahlend, er habe soeben im Theaterausschuß eine Schlacht gegen die »miefigen Hunde von der CDU« gewonnen, und forderte mich auf, ihm alles zu erzählen, was ich, seitdem wir uns zuletzt gesehen hatten, erlebt hatte. Wir hatten als Jungen jahrelang miteinander gespielt. Sein Vater war Bademeister, später Platzwart auf dem Sportgelände in der Nähe unseres Hauses. Ich bat ihn, mir die Erzählung zu ersparen, klärte ihn in Stichworten über meine Situation auf und bat ihn, mir den Scheck doch zu versilbern. Er war furchtbar nett, er verstand alles, gab mir sofort dreißig Mark bar, wollte den Scheck gar nicht haben, aber ich flehte ihn an, den Scheck zu nehmen. Ich glaube, ich weinte fast, als ich ihn bat, den Scheck doch zu nehmen. Er nahm ihn, ein bißchen gekränkt, und ich lud ihn
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    ein, uns doch einmal zu besuchen und mir beim Training zuzusehen. Er brachte mich noch bis zur Straßenbahnhaltestelle an der Kalker Post, aber als ich drüben auf dem Platz ein freies Taxi stehen sah, rannte ich hinüber, setzte mich rein und sah nur noch Edgars verdutztes, gekränktes, bleiches, großes Gesicht. Es war das erste Mal, daß ich mir ein Taxi leistete, und wenn je ein Mensch ein Taxi verdient hat, dann war ich es an diesem Abend. Ich hätte es nicht ertragen, mit der Straßenbahn quer durch Köln zu bummeln und noch eine Stunde auf das Wiedersehen mit Marie zu warten.
    Das Taxi kostete fast acht Mark. Ich gab dem Fahrer noch fünfzig Pfennig Trinkgeld und rannte in unserer Pension die Treppe hinauf. Marie fiel mir weinend um den Hals, und ich weinte auch. Wir hatten beide soviel Angst ausgestanden, waren eine Ewigkeit lang voneinander getrennt gewesen, wir waren zu verzweifelt, uns zu
    küssen, flüsterten nur immer wieder, daß wir uns nie, nie, nie mehr trennen würden,
    »bis daß der Tod uns scheidet«, flüsterte Marie. Dann machte Marie »sich fertig«, wie sie es nannte, schminkte sich, malte sich die Lippen, und wir gingen zu einer der Buden auf der Venloer Straße, aßen jeder zwei Portionen Gulasch, kauften uns eine Flasche Rotwein und gingen nach Hause.
    Edgar hat mir diese Taxifahrt nie ganz verziehen. Wir sahen ihn danach öfter, und er half uns sogar noch einmal mit Geld, als Marie die Fehlgeburt hatte. Er sprach auch nie über die Taxifahrt, aber es blieb bei ihm ein Mißtrauen zurück, das bis heute nicht getilgt ist.
    »Mein Gott«, sagte mein Vater laut und in einer neuen Tonlage, die mir ganz
    fremd an ihm war, »sprich doch laut und deutlich und mach die Augen auf. Auf den Trick fall ich nicht mehr rein.«
    Ich machte die Augen auf und sah ihn an. Er war böse.
    »Rede ich etwa?« fragte ich.
    »Ja«, sagte er, »du murmelst vor dich hin, aber das einzige Wort, das ich verstehe, ist hin und wieder Scheißmillionen.«
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    »Das ist auch das einzige, das du verstehen kannst und verstehen sollst.«
    »Und Verrechnungsscheck habe ich verstanden«, sagte er.
    »Ja, ja«, sagte ich, »komm, setz dich wieder hin und sag mir, was du dir gedacht hast — als monatliche Unterstützung für ein Jahr.«
    Ich ging zu ihm rüber, packte ihn sanft an den Schultern und drückte ihn in seinen Sessel. Er stand sofort wieder auf, und wir standen uns ganz nah gegenüber.
    »Ich habe mir die Sache hin und her überlegt«, sagte er leise, »wenn du meine
    Bedingung der soliden, kontrollierten Ausbildung nicht wahrnehmen, sondern hier arbeiten willst . . . müßten eigentlich - na, ich dachte, zweihundert Mark im Monat reichen.« Ich war sicher, daß er zweihundertfünfzig oder dreihundert hatte sagen wollen, im letzten Augenblick aber zweihundert gesagt hatte. Er schien doch über meinen Gesichtsausdruck erschrocken zu sein, er sagte rascher als zu seiner
    gepflegten Erscheinung paßte: »Genneholm sprach davon, daß Askese die Grundlage der Pantomime sei.« Ich sagte immer noch nichts. Ich sah ihn nur an, mit »leeren Augen«, wie eine Kleistsche Marionette. Ich war nicht einmal wütend, nur auf eine Weise erstaunt, die das, was ich mühsam gelernt hatte: leere Augen

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