Anständig essen
ich doch schon zwei ausgestopfte Rehköpfe an der Wohnzimmerwand gesehen habe, winkt ab. Er hat inzwischen eine Tochter bekommen und sich aus Gründen der Hygiene von den Rehen getrennt. Am Ende kann ich mit viel gutem Zureden dem Stockentenerpel ein neues Zuhause beim Schriftstellerkollegen Schulz beschaffen und dem kleinen Eichelhäher ein neues Heim bei meiner Lektorin Esther. Die anderen toten Tiere lagere ich vorerst in einer Abstellkammer, die eigentlich mal Gästezimmer werden sollte und ab jetzt Blaubarts Zimmer heißt.
Meine Güte, geht mir das Frühstück auf die Nerven. Nichts ist, wie es war, und Essen hat doch auch mit Gewohnheit zu tun. Ein Brot mit Mayonnaise und Gurken, und die Mayonnaise ist noch nicht einmal richtige Mayonnaise, sondern ohne Ei hergestellt. Kein Wunder, dass es nur 200 000 Veganer (nach optimistischeren Schätzungen 450 000) in Deutschland gibt. Auch Jiminy rührt äußerst mürrisch in ihrem Tee, in dem der Soja-Sahneersatz ausflockt.
»Wie das schon aussieht! Nicht nur, dass es nicht so schmeckt, wie es schmecken soll …«
»Vielleicht müssen wir nur erst das richtige Produkt finden«, sage ich, »irgendwo gibt es bestimmt Ei-freie Mayonnaise und Sahne-Ersatz, die ganz passabel sind.«
Das mit den Eiern ist für mich am schwersten einzusehen. Dass ich keine im Supermarkt kaufen darf, ist ja klar. Und ich habe inzwischen auch begriffen, dass ich Leid verursacht habe, als ich meine Hühner kaufte – schon wegen der zerhäckselten Hahnenküken. Für jedes Huhn ein zerstückelter kleiner Hahn. Aber nun sind sie ja einmal da, und eigentlich habe ich den Eindruck, dass es den Hühnern nichts ausmacht, wenn ich ihre Eier aus den Legenestern nehme. Genau wissen kann man das natürlich nie. Beim Aufräumen eines Schuppens bin ich einmal auf ein Nest mit siebzig Eiern gestoßen, die die Hühnerschar in zweiter Buchführung an mir vorbeigeschmuggelt hatte. Möglicherweise ist das Einverständnis also doch nicht so groß. Wie auch immer – wenn ich die Eier nicht fortnehme, verfaulen sie irgendwann und explodieren den Hühnern unterm Hintern. Jetzt verschenke ich sie halt. Es sind aber auch gar nicht die Eier, die ich am meisten vermisse. Ich möchte Butter und Käse. Ich verabscheue Pflanzenmargarine. Margarine habe ich zuletzt in den 70er-Jahren gegessen, als meine Eltern eine kurze Anwandlung hatten, sich schlankheitsbewusst zu ernähren. Jiminy hat aus Berlin ein Stück veganen Käse mitgebracht, den wir jetzt probieren. Mir wird schon vom Geruch übel. Tapfer schneidet trotzdem jede von uns ein Stück ab und beißt hinein. Schwer zu beschreiben, mit Käse hat das jedenfalls nur sehr entfernt zu tun.
»Unterirdisch«, sagt Jiminy.
Ich nehme den ganzen Käseblock und lasse ihn in den Abfalleimer fallen. Ich will diesen veganen Fraß nicht. Aber so essen wie früher will ich auch nicht. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich will. Nun habe ich schon das irrwitzige Glück, zu den wenigen Menschen auf diesem Planeten zu gehören, die in einem Land leben, in dem man sich so ziemlich alles, was man essen möchte, jederzeit kaufen kann. Und was tue ich? Ich bin so blöd und mache mir selbst das Leben schwer. Das abscheuliche Gurkenbrot kann ich noch nicht einmal durch Müsli mit Früchten und Joghurt ersetzen, weil das hier auf dem Tisch kein vernünftiger Joghurt ist, sondern so ein ungenießbarer weißer Soja-Joghurt, den Jiminy aus der Bio-Company mitgebracht hat. In den Bio-Läden ist es auch nicht viel einfacher, vegan einzukaufen. Es gibt zwar mehr vegane Produkte als in den normalen Discountern, aber dafür wird es bei Brot und Kuchen schwierig. Die Bio-Branche backt gern mit Butter oder süßt der größeren Naturnähe wegen mit Honig statt mit Zucker. Und ich beklau ja jetzt keine Bienen mehr.
»Dann kauf doch das nächste Mal selber ein, wenn dir das alles nicht passt«, sagt Jiminy.
»Veni-vidi-vegi« ist ein klitzekleiner Tante-Emma-Laden in Berlin-Kreuzberg, der außer veganen Lebensmitteln auch noch vegane Schuhe, vegane Gürtel, vegane Haushaltsmittel und vegane Kosmetika führt. Und Bücher über die Tierrechtsbewegung. Und T-Shirts, aufdenen ein Schaf abgedruckt ist, das »friend, not food« sagt. Während ich einkaufe, durchstöbert Jiminy den Info-Tisch und deckt sich mit Flugblättern, Heften und Prospekten ein. Was für eine Erleichterung, endlich einkaufen zu können, ohne jedes Mal die Liste der Inhaltsstoffe studieren zu müssen. Die meisten Lebensmittel
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