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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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seriös einzustufen sei. Diese Studie erschien im Dezember 2005 im »Journal of the National Cancer Institute« und verglich zwölf vorangegangene Studien. Sie bestätigte auch eine im August 2003 veröffentlichte Studie der Harvard Universität, nach der Milchtrinker ein um 32 % erhöhtes Risiko eingehen, an Prostatakrebs zu erkranken. Nach Dr. Campbell – da ist er wieder – sind die Caseine, die 80 % der Gesamtproteinmenge in der Milch ausmachen, die Bösewichte, die den Krebs begünstigen. Die Autoren der amerikanischen Krebsstudie vermuten hingegen, dass hohe Dosen von Milchprodukten die Bildung von Vitamin D unterdrücken. Und Vitamin D ist nicht nur für die Knochenbildung wichtig, sondern beugt auch Prostatakrebs vor. Dabei fällt mir ein: Wenn die Finnen tatsächlich aufgrund von Lichtmangel und dem damit verbundenen Vitamin-D-Mangel so oft Diabetes bekommen, dann wäre es für sie natürlich ebenfalls fatal, wenn ihr hoher Milchkonsum zusätzlich noch die Vitamin-D-Bildung unterdrücken würde.
    Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel empfiehlt jedenfalls trotz der amerikanischen Krebsstudie weiter, mindestens einen Liter Milch oder 1200 mg Kalzium pro Tag zu sich zu nehmen, weil die Vorteile des Milchkonsums die etwaigen Risiken übertreffen würden. Während das Prostatakrebsrisiko ja noch gar nicht abschließend bewertet sei, ist es hingegen bewiesen, dass ein ausreichender Milchkonsum Osteoporose, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Übergewicht vorbeuge.
    So richtig überzeugt bin ich davon nicht mehr.
    Aber würden die Lebensmittelindustrie und die Bundesanstalt für Ernährung und Lebensmittel tatsächlich den Genuss von Milch propagieren, wenn bekannt wäre, dass dieses Produkt eigentlich gesundheitsschädlich ist? Ist es denkbar, dass gewählte Politiker in einem demokratischen Staat die Interessen der Lebensmittelkonzerne wichtiger nehmen als die Gesundheit der Bevölkerung? Wäre die EU so dumm, Schulmilch zu bezuschussen, wenn sie die Schüler fett und krank machen würde?
    Nun ja, im Juni 2010 hat das Europa-Parlament über die europaweite Einführung einer »Lebensmittelampel« entschieden. Die Idee der Ampel besteht darin, dass auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen Aufkleber angebracht werden, die mit den Farben Rot, Grün und Gelb den Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz kennzeichnen, damit der Verbraucher beim Einkauf sofort sieht, was er da gerade seiner Bauchspeicheldrüse und seinen Arterien antun will. Enthält ein Produkt zum Beispiel besonders viel Fett, ist der Begriff »Fett« rot markiert; ist der Salzgehalt niedrig, bekommt der Begriff »Salz« einen grünen Punkt, und ist der Zuckeranteil in einem Lebensmittel nur so mittelschlimm, steht das Ampelzeichen neben dem Begriff »Zucker« auf Gelb. In England wurde die Lebensmittelampel bereits eingeführt und in einer Umfrage von 90 Prozent der Befragten als leicht und schnell verständlich bewertet. Das Konsumverhalten der Verbraucher änderte sich und einige Hersteller sahen sich sogar veranlasst, ihre Rezepturen zu ändern und die Fertiggerichte fortan mit weniger Fett, Salz und Zucker herzustellen. Laut einer Emnid-Umfrage vom Juli 2009 waren zwei Drittel der deutschen Bundesbürger für die Einführung einer solchen Ampel auch bei uns. Die gesetzlichen Krankenkassen baten die Bundesregierung innig, sich in Anbetracht einer verfettenden Gesellschaft für das Ampelsystem einzusetzen. Vertreter des deutschen Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte sowie der Vereinigung der europäischen Kinderärzte schrieben in einem Brief an die EU -Abgeordneten: »Wir bitten Sie dringend, nicht nur die Interessen der Nahrungsmittelindustrie zu unterstützen.« So ziemlich alle außer der Lebensmittelindustrie wollten die Ampel haben. Jetzt musste man sie nur noch beschließen. Seltsamerweise wurde dagegen entschieden. In verschiedenen Zeitungen war hinterher zu lesen, die Politiker hätten sich dem Lobby-Druck der Großkonzerne gebeugt. Das klang, als wäre es etwas völlig Normales, dass die Lebensmittel-Lobby Verbündete in der Regierung sitzen hat. Ich frage mich immer, wie das abläuft, wenn so ein Lobbyist einen Politiker dazu bringt, seinen Interessen nachzukommen.
    Politiker: »Hm, hm, hier ist so ein Antrag: Lebensmittel-Ampel. Damit die Konsumenten erkennen, ob etwas gesund oder ungesund ist.«
    Lobbyist: »Was? Kommt ja gar nicht infrage. Und wer soll dann all unsere fetten und

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