Anständig essen
haben wir in Schleswig-Holstein auch noch nicht gesehen, aber extreme Werte und unübliche Wetter-Ereignisse passieren nun einmal, das heißt noch lange nicht, dass wir es mit einer globalen Erwärmung zu tun haben. Das haben sie ungefähr zehn Jahre lang durchgezogen, und dann haben sie mit den Schultern gezuckt und gesagt: Hm ja, leider, so wie es aussieht, handelt es sich wohl doch um eine globale Erwärmung. Selbst die Rekordhitze im Sommer 2003, die europaweit rund 70 000 Menschenleben kostete, haben Wissenschaftler damals als ein Ereignis gewertet, das halt alle 450 Jahre mal auftritt. Die waren wohl einfach gerade mal wieder um, die 450 Jahre. Jetzt wird langsam klar, dass uns solche Sommer demnächst öfter bevorstehen. Auch mit einem freiwilligen fleischfreien Tag pro Woche – an dem sich dann mit viel Glück zehn Prozent der Bevölkerung beteiligen – wird das nicht mehr aufzuhalten sein.
Eigentlich war für Anfang Juli eine Tierbefreiung geplant gewesen, bei der ich mitmachen wollte. Der Termin muss verschoben werden. Die Hühnerställe mit den Käfigbatterien, in die wir vorhatten einzubrechen, gibt es plötzlich nicht mehr. Warum, darüber kann man nur spekulieren. Da in diesem Jahr die Käfigbatterien verboten worden sind, liegt die Vermutung nahe, dass hier ein Eierproduzent die Drohungen der Geflügellobby wahr gemacht hat: Wenn wir nicht genauso weitermachen dürfen wie bisher, gehen wir eben nach Osteuropa, wo man uns mit offenen Armen empfangen wird, und wo wir die Hühner noch schlimmer quälen dürfen, als wir es hier schon getan haben. Das habt ihr jetzt davon. Ichmöchte auch kein Landwirtschaftsminister sein – diese Ohnmacht gegenüber einer Industrie, die sich weder kontrollieren noch regulieren lässt, weil sie einfach am längeren Hebel sitzt. Der Einzige, der an einem noch längeren Hebel sitzt, ist der Verbraucher, der es in der Hand hätte, einfach keine Eier mehr zu kaufen. Aber der tut es nicht. Der tut es einfach nicht.
Ich bin bei meinen Eltern in Hamburg – Familientreffen. Mein Bruder mit Frau und Sohn und meine Schwester mit Kindern und Landwirtschaftsminister sind auch dabei. Ich trage ein schwarzes Tierbefreier-T-Shirt, auf dem vorne »Animal Liberation« steht. Darüber ist das Bild eines vermummten Autonomen gedruckt, der ein unglaublich herzig und schutzbedürftig aussehendes Tier einer undefinierbaren Spezies auf dem Arm hält. Vermutlich soll es ein Beagle aus einem Versuchslabor sein, es sieht aber eher wie eine Mischung aus Dachs und Nasenbär aus. Mein Schwager, der Landwirtschaftsminister, ignoriert das T-Shirt. Wahrscheinlich hat er keine Lust, sich mit seiner Reaktion in meinem Buch wiederzufinden. Kann ich ihm auch nicht verdenken. Trotzdem geht das Gespräch bald um Tierhaltung. Das ist eigentlich unvermeidlich, wenn ich irgendwo mit am Tisch sitze.
»Ja, wie ist das denn nun eigentlich«, sagt mein Bruder und schaut unseren Schwager an, »ich dachte, Legebatterien wären abgeschafft. Gibt es die Käfighaltung nun noch oder nicht?«
Der Landwirtschaftsminister erklärt den neuen, ausgestalteten Käfig. Als höflicher Mensch lasse ich ihn ausreden.
»Das ist zwar grundsätzlich richtig«, sage ich, als er fertig ist, »man muss dazu aber noch Folgendes wissen …«
Wer wäre geeigneter als ich, den nicht ganz unkomplizierten Sachverhalt zu erklären. Ich habe wochenlang recherchiert, und alle Daten und Quadratzentimeterzahlen noch im Kopf. Ich weiß, wann was beschlossen wurde und wann es wieder aufgehoben wurde. Ich habe die Meinungen und Angaben des Landwirtschaftministeriums, verschiedener Tierschutzvereine, verschiedener Tierrechtsgruppen und eines Herstellers von Hühnerkäfigen miteinander verglichen.
»Was die alte Käfighaltung von der neuen unterscheidet, ist vor allem …«
Mein Bruder steht auf und geht hinaus, um sich eine phosphorhaltige, das Kalzium aus den Knochen schwemmende Limo zu holen. Ich erkläre die Kleingruppenhaltung den anderen, die es eigentlich auch nicht hören wollen. Mein Schwager meint, dass die Konsumenten ja Bio-Eier und Bio-Fleisch kaufen könnten, wenn ihnen das wichtig wäre.
»Aber anscheinend wollen sie das ja gar nicht.«
»Das ist eine ethische Frage«, rege ich mich auf. »Das kann man doch nicht vom Markt regulieren lassen. Hier ist ja auch Kinderarbeit verboten, da sagst du schließlich auch nicht, das sollen die Konsumenten entscheiden. Das kann doch nicht dem Selbstverständnis eines entwickelten Staates
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