Anständig essen
der Regel ganzjährig im Stall gehalten. Falls überhaupt eine Weide vorhanden ist, kommen sie nur in den zwei Monaten, in denen sie trockenstehen, also keine Milch geben, raus. Etwa 35 % aller Milchkühe stehen in Anbindehaltung, vor allem in kleineren Betrieben und vor allem im süddeutschen Raum. Auch in Bio-Betrieben trifft das immer noch auf ein Drittel der Kühe zu. Allerdings haben 85 % dieser Tiere in den Sommermonaten Weidegang.
»Es geht ja nicht nur um die gequälten Tiere«, sage ich jetzt zu den anderen, die – vermutlich wegen der ungemütlichen Stimmung, vielleicht aber auch wegen der etwas fokussierten Themenwahl – sich gerade davonstehlen wollen, »es geht auch darum, dass dank der EU -Exporte die Landwirtschaft in Afrika ruiniert wird. Die können da ihre eigenen Hühner nicht mehr verkaufen, weil es nämlich selbst in Afrika fünf bis acht Euro kostet, ein Huhn zu mästen. Stattdessen essen die da jetzt unser billiges, tiefgefrorenes, minderwertiges Qualfleisch.«
Jean Ziegler, UNO -Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, äußerte sich einmal dahingehend,dass er die Landwirtschaftspolitik der EU als Hauptursache dafür ansehe, dass die Zahl schwer unterernährter Afrikaner von 81 Millionen (1972) auf 203 Millionen (2002) angestiegen sei.
»Außerdem ist die Co 2 -Belastung durch Viehhaltung noch schlimmer als das gesamte Verkehrswesen der Welt zusammengenommen. Von den Methangasen ganz zu schweigen. Das mit dem Erdöl ist doch schon schlimm genug. Wusstet ihr, dass wir jedes Jahr so viel Erdöl verbrennen, wie in einer Million Jahren entstanden ist?«
Das habe ich neulich im Fernsehen gehört. Ich schaue jetzt immer solche Sendungen: Schreckensmeldungs-Sendungen, Weltuntergangs-Sendungen, Alles-längst-zu-spät-Sendungen. Jedes Jahr so viel Erdöl, wie in einer Million Jahren entstanden ist – stimmt das überhaupt? Oder verbrauchen wir am Ende jeden Tag so viel Erdöl, wie in einer Million Jahren entstanden ist.
»Jedenfalls gibt es bald keins mehr.«
»Hauptsache, das gibt es noch so lange, wie ich das Zeug verkaufe«, sagt mein Bruder. Gott, das hatte ich auch schon wieder verdrängt, mein Bruder arbeitet ja für einen Ölmulti. Der Schwager Landwirtschaftsminister, der Bruder in der Erdölbranche und mein Vater war vor seiner Rente in der Pharmaindustrie angestellt – fehlen eigentlich bloß noch ein Banker und ein Islamist in der Familie.
Als ich mich wieder auf den Heimweg mache, begleitet mich der ganze Familientross zum Auto. Meine Mutter stellt mir noch eine Tupper-Schüssel mit Roter Grütze auf den Beifahrersitz, und mein Schwager, der Landwirtschaftsminister, sagt freundlich: »Denk daran, dein Buch unbedingt von einem Fachmann gegenlesen zu lassen, damit du dich nicht blamierst.«
Zu meinem Erstaunen muss ich feststellen, dass das weiße Pferd, das sonst immer eher scheu und zurückhaltend war, viel zutraulicher geworden ist, seit ich es nicht mehr reite. Wir knuddeln stattdessen ein bisschen herum, und neuerdings leckt es mir sogar wie ein Hund übers Gesicht. Ich habe mich schon dabei ertappt, dass ich »jetzt ist aber gut, Bulli« zu ihm gesagt habe. Leider ist Torino inzwischen auch so dick geworden, dass er aussieht wie ein zu stramm aufgeblasenes Badetier. Die Weiden hier stehen voller Luzerne und sind so hochkalorisch, dass ich Pferd und Mulis sowieso nur sechs Stunden am Tag weiden lasse kann und sie den Rest des Tages nur mit Stroh füttere. Alles in allem glaube ich, dass es dem Pferd besser gehen würde, wenn ich es wieder bewegen würde. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass Torino das Gerittenwerden so richtig hasst, wären das doch zumindest schon mal wieder ein bis zwei Stunden Langeweile weniger am Tag. Er sieht mal was anderes, verbraucht dabei auch noch Kalorien und könnte hinterher vielleicht sogar eine Stunde länger auf der Weide stehen. Außerdem schmeckt das Essen einfach besser, wenn man etwas getan hat. Das weiß doch jeder, dass ein Käsebrot – falsch, ich meine natürlich ein Tofu-Wurstbrot nach einer Bergwanderung ganz anders schmeckt, als wenn man fünf Stunden vor dem Fernseher gesessen hat. Die meisten Leute gehen nicht gern zur Arbeit, aber wenn sie dann arbeitslos werden oder in Rente gehen, kriegen sie plötzlich Depressionen. Leider ist Torino nicht so leicht anzumerken, ob er etwas mag oder nicht. Das Maultier lässt einen darüber ja nie im Unklaren. Wenn Bonzo macht, was er soll, kann man davon ausgehen, dass er zumindest
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