Anthropofiction
schaffen, die Autobahn zu erreichen, könnten wir ein Auto anhalten. Mutter, wir müssen unbedingt hier weg!«
Ihre Mutter seufzte leise und reckte sich.
»Du sagst immer, du möchtest nicht, daß ich ein schlechtes Mädchen werde, nicht wahr?«
Die Augen der älteren Frau wurden zu einem Schlitz.
»Du läßt dich von diesem Clark-Jungen ausnutzen!«
»Nein, Mutter! Nein, das ist es überhaupt nicht! Ich dachte gerade an etwas Furchtbares, was ich gehört habe. Ich wollte nur nicht darüber sprechen. Es handelt sich um so ein Gesetz. Mama, bitte – ich habe Angst!«
»Na, na, Süßes! Du weißt, daß es dazu überhaupt keinen Grund gibt. Bist du so nett, und reichst mir mein Wasser, Liebes? Ich glaube, sie haben mich bald geheilt, weißt du? Helva Smythe und Margaret Box haben mich jeden Tag besucht. Sie brachten mir einige Penicillin-Tabletten in heißer Milch; das hat mir sehr gut getan!«
»Aber Mama – ich habe Angst!«
»Noch etwas, Liebling. Ich habe dich mit dem netten Clark-Jungen weggehen sehen. Die Clarks sind eine prächtige Familie. Da hast du einen guten Fang gemacht, du mußt deine Karten nur richtig ausspielen und an eines denken: Bleibe immer ein anständiges Mädchen!«
»Mama, wir müssen hier weg!«
»Beruhige dich nur, junge Dame. Nun geh zurück und sei nett zu diesem Tommy Clark. Helva Smythe sagt, er würde eines Tages das Geschäft seines Vaters erben. Du kannst ihn mir morgen vorstellen.«
»Mutter!«
»Ich hab’s mir überlegt. Sie machen mich gesund und wir werden solange hier bleiben. In einer Großstadt beachten die Leute dich nicht, aber in einer kleinen Stadt bist du wer.« Sie zog ihre Bettdecke glatt und legte sich zum Schlafen hin.
Am Abend saßen Miriam und Tommy Clark auf der Veranda in der Hollywood-Schaukel. Sie unterhielten sich über alles mögliche. »… deshalb, glaube ich, soll ten wir das Geschäft machen«, sagte Tommy. »Ich wä re nicht abgeneigt, nach Wesleyan oder Clemson oder sonstwohin zu gehen, aber Vater meinte, ich hätte mehr davon, wenn ich mit ihm hier im Geschäft bliebe. Warum lassen sie uns nicht das tun, was wir gerne tun möchten?«
»Ich weiß es nicht, Tommy. Meine Mutter möchte, daß ich zu Katherine Gibbs gehe – das ist eine Sekretärinnenschule in New York – in diesem Herbst.«
»Das willst du aber nicht, nicht wahr?«
»Nee, außer jetzt. Jetzt läge mir viel daran, dahin zu gehen, nämlich, um aus dieser Stadt hinauszukommen.«
»Dir gefallt es hier nicht?« Tommys Gesicht bekam einen verstörten Ausdruck. »Du magst mich nicht?«
»O doch, Tommy, ich habe dich sehr gern. Aber ich bin fast erwachsen und möchte gerne nach New York zurückgehen und einen Job annehmen. Ich habe letzten Monat meinen High School-Abschluß gemacht.«
»Willst du mich veräppeln? Du siehst gerade wie fünfzehn aus!«
»Nee, niemals! Ich werde nächste Woche achtzehn – Oh, das wollte ich dir gar nicht sagen. Ich möchte nicht, daß deine Leute etwas an meinem Geburtstag machen. Verspreche, daß du es ihnen nicht erzählen wirst!«
»Du wirst achtzehn! Alt genug zum Warten! Junge, Junge, ich wünschte, ich würde dich nicht kennen!«
»Tommy, was ist los? Magst du mich nicht?«
»Das ist es ja gerade! Ich mag dich – und wie! Wenn ich ein Fremder wäre, könnte ich dein Warten beenden«
»Warten? Was für’n Warten?«
»Das weißt du doch!« Er räusperte sich verlegen.
Eine Woche später – nach einem frustrierenden Besuch bei ihrer Mutter im Park – ging Miriam nach Hause zu Clarks und schleppte sich auf ihr Zimmer. Ausgerechnet ihre Mutter hatte ihren Geburtstag vergessen! Sie wollte sich auf ihr Kopfkissen fallen lassen und weinen. Sie fiel auf ihr Bett und sprang erschrocken auf. Ein weißes, hauchdünnes, bodenlanges Kleid hing an der Türe. Hermann Clark und seine Frau stürzten herein und gratulierten ihr zum Geburtstag.
»Das Kleid ist für dich.«
»Nein, das solltet ihr doch nicht!« schrie Miriam.
Mrs. Clark scheuchte ihren Mann aus dem Zimmer und half Miriam beim Anziehen. Sie gingen hinunter, mit meterlangem weißen Chiffon, der um Miriams Knöchel rauschte und knitterte.
Keiner der Geburtstagspartygäste war besonders gekleidet. Einige andere Frauen aus der Nachbarschaft beobachteten mit feuchten Augen Tommy, der Miriam half, den Kuchen zu schneiden.
»Sie scheint aber auch alt genug zu sein.«
»Es wäre schade, wenn sie lange warten müßte!«
»Hübsches, kleines Ding. Ob Tommy sie mag?«
»Ich wette,
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