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Anti-Eis

Anti-Eis

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anderes übrigblieb,
als zusammen mit den anderen auf die Barrikaden zu gehen. Aber ich
verkniff mir einen diesbezüglichen Kommentar und fragte statt
dessen: »Und wie ist die Lage in der Stadt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wie Ihr wißt, gelangen
keine Nahrungsmittel in die Stadt; der Wind macht es unmöglich,
auch nur ein paar Pfund mit Ballons zu befördern; unsere
Regierung hat ein Verteilungsproblem, sowohl regional als auch
sozial.« Er lachte mit leichtem Zynismus. »Es verwundert
also niemanden, daß die Armen am meisten leiden. Auch
Geschäftsleute gehen bankrott. Aber die besten Restaurants haben
noch alles auf der Karte.« Er fixierte mich mit einem intensiven
Blick und versuchte, sich gerader aufzusetzen. »Vielleicht
möchtet Ihr und Euer dilettantischer Begleiter während
Eures Besuches einmal ein solches Restaurant aufsuchen. Ich
entschuldige mich im Namen aller Franzosen für das Fehlen
solcher Dinge wie Frischgemüse und Meeresfrüchte; aber die
Speisekarten sind exotischer denn je durch die Aufnahme solcher
Spezialitäten wie Känguruh, Elefant und
Katze…«
    Beruhigend legte ich ihm die Hand auf die Schulter. »Sir, wir
sind nicht Eure Feinde. Wir riskieren auf diesem Kriegsschauplatz
sogar unser eigenes Leben; wir suchen nämlich
jemanden.«
    »Wen?« fragte er mit einem Anflug von Neugier.
    »Habt Ihr schon von der Prince Albert gehört?« Ich erläuterte ihm die Umstände der
Entführung des Schiffes durch Franktireurs und daß es dem
Vernehmen nach einen südlichen Kurs auf Paris nahm.
    Aber Nandron schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts
von einem solchen Schiff«, sagte er abschätzig. »Und
überhaupt werden unsere Franktireurs jetzt viel sinnvoller bei
der Unterbrechung der langen preußischen Nachschublinien von
Berlin eingesetzt…«
    Enttäuscht von diesem neuerlichen Scheitern, nutzte ich die
verbleibenden Minuten bis zu Travellers Rückkehr dennoch dazu,
diesem hochnäsigen jungen Pariser weitere Details über die
Lage in der Stadt zu entlocken. So erzählte er mir zum Beispiel,
daß selbst jetzt das Programm zur Erneuerung der dreißig
Jahre alten Verteidigungswälle durch Streitigkeiten und
Verzögerungen behindert wurde, weil rivalisierende Gruppen von
Ingenieuren sich über die eleganteste und ästhetischste
Konstruktion stritten. Dabei mußte ich an die Schilderungen
meines Bruders von den schlichten, aber wirkungsvollen
Erdbefestigungen denken, welche die Russen um Sewastopol errichtet
hatten.
    Im milden, schwindenden Licht dieses Nachmittags auf dem
französischen Land fiel es mir schwer, die unglaublichen Details
von Nandrons Geschichten zu glauben.
    Die größte Hoffnung auf Rettung versprach Paris sich
vom Minister des Inneren, Gambetta, der bereits vor einigen Wochen
per Ballon aus der Stadt entschwebt war. Dieser Gambetta hatte
anscheinend eine neue Armee aus dem französischen Boden
gestampft und die Preußen bereits mit einigem Erfolg bei
Coulmiers in der Nähe von Orleans angegriffen. Nun marschierte
Gambetta auf Orleans selbst, wo er die Invasoren erneut stellen
wollte. Aber starke preußische Verbände, die zuvor durch
die Belagerung von Metz gebunden waren, marschierten jetzt ihrerseits
auf ihn zu; und es hatte den Anschein, daß Orleans vielleicht
zu einem so entscheidenden Schlachtfeld wie Sedan werden
würde.
    Traveller kam zurück und applizierte fachmännisch eine
Packung um Nandrons Bein. Während Traveller beschäftigt
war, fuhr Nandron fort: »Es heißt, daß General
Trochu« – der Vorsitzende der provisorischen Regierung
– »nicht um die Zukunft Frankreichs fürchtet; er
glaubt nämlich, daß Sainte Genevieve, die im fünften
Jahrhundert das Land vor Barbaren errettete, wiederkehren wird.«
Er lachte bitter.
    »Ihr teilt seinen Optimismus nicht?«
    »Ich würde eher in den Bars der Stadt kursierenden
Gerüchten Glauben schenken, wonach Bonaparte höchstselbst
wieder von den Toten auferstanden ist – oder womöglich gar
nicht erst gestorben ist, in seinem britischen Exil – und in
einem großen Kampfwagen zurückkehrt, um sich Gambettas
Armee bei Orleans anzuschließen und die Preußen zu
verjagen.«
    Ich nickte. »Old Boney höchstpersönlich, eh?
Welch eine romantische Vorstellung…«
    Aber Traveller bedeutete mir zu schweigen. »Dieser
›große Wagen‹«, sagte er hektisch in seinem
gebrochenen Französisch. »Enthalten diese Gerüchte
irgendwelche Details?«
    »Natürlich nicht. Sie sind nur Geschwätz von
Ignoranten und schlecht informierten

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