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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich, daß wir uns
darauf vorbereiteten, noch eine Nacht in der Aluminiumhülle der Phaeton zu verbringen. Ich bereitete uns ein Mahl aus den
aufgefüllten Corned-Beef-Beständen; Traveller füllte
Flaschen mit seinem feinen alten Brandy ab; und dann saßen wir
in der traulich beleuchteten Raucherkabine, genauso wie damals im
Weltall.
    Der Mittelpunkt der Kabine, das detaillierte Modell der Great
Eastern, war durch ein Replikat ersetzt worden, wie ich anhand
der Detailtreue feststellen konnte. Travellers kleines Piano blieb in
der Wandung eingeklappt, eine traurige Reminiszenz an
glücklichere Augenblicke.
    Eine Weile versanken wir in Erinnerungen an unseren Flug ins All,
aber unsere Gedanken schweiften doch schon zu sehr in die Zukunft ab.
»Es ist natürlich nicht nur die bloße
Verfügbarkeit Eurer Experimental-Raketen«, sagte ich
schließlich, »die den Ausgang dieses Krieges bestimmen
wird. Das Wissen um die britische Entschlossenheit zum Einsatz von
Anti-Eis wird diese Kontinentalen schon zur Raison bringen.«
    Er lachte. »Dann werden sie sich also nur auf Geheiß
von Old Glad Eyes wie brave Buben verhalten und die Waffen
niederlegen? Nein, Ned; wir müssen uns den Tatsachen stellen.
Schon bevor Bismarck diesen grausamen Krieg provozierte, hatte er
gewußt, daß wir über Anti-Eis verfügen, und
muß mithin unterstellt haben, daß Britannien es nicht
einsetzt. Nur die Detonation einer Anti-Eis-Granate inmitten seiner
Frontlinie wird ihn vom Gegenteil überzeugen. Und was die
Franzosen betrifft – Ned, diese Kameraden kämpfen um ihr
Leben, ihre Ehre und ihr geliebtes patrie. Sie werden kaum auf
die abstrakte Möglichkeit einer britischen Superwaffe reagieren.
Nochmals, nur die Entwicklung einer solchen Waffe wird die
preußische Haltung ändern können. Diplomatie ist
jetzt irrelevant; es gibt keine Begründung für eine
Verzögerung. Und ich bin sicher, daß dies auch der
Kalkulation von Gladstone und seinem Kabinett entspricht.«
    Seine Worte waren nüchtern; ich nahm einen ordentlichen
Schluck Brandy. »Dann seid Ihr also der Ansicht, daß alles
für den Einsatz von Anti-Eis spricht.«
    Sein Blick schweifte über die flackernde Kabinenbeleuchtung.
»Ich sehe keine Alternative.«
    Ich beugte mich nach vorne. »Sir Josiah, vielleicht
hättet Ihr doch in England bleiben und gegen eine solche
Entwicklung Stellung beziehen sollen. Vielleicht hätte die Kraft
Eurer Argumente etwas bewirken können.«
    Er schaute mich mit einem belustigten Flackern in seinen kalten
Augen an. »Danke für diesen fundierten und abgewogenen Rat:
Ausgerechnet von dem Mann, der mich dazu gezwungen hat, England zu
verlassen! Aber meine Anwesenheit hätte ohnehin nichts bewirkt.
Gladstone hat mich nämlich nicht zuhause aufgesucht, um das
Thema zu erörtern, sondern um mich vor vollendete Tatsachen zu
stellen.«
    So verging der Abend.
    Als die Dunkelheit sich über das Land senkte, legten wir uns
wieder in die schmalen Kojen. Ich lag die ganze Nacht ruhig da, aber
mein Kopf, in dem sich die Gedanken an die Zukunft jagten, kam nicht
zur Ruhe.
    Wir standen beide auf, als die einsetzende Morgendämmerung
durch die Fenster drang. Der Kleine Mond stand hoch am klaren Himmel,
eine helle weiße Boje, welche die erwachende Landschaft
erhellte.
    Einsilbig wuschen und kleideten wir uns an, frühstückten
hastig, und – nicht einmal eine Stunde nach Einsetzen der
Dämmerung – ließen wir die Phaeton erneut in
den Himmel des besetzten Frankreich steigen.
     
    Die alte Stadt Orleans befindet sich etwa fünfzig Meilen
südlich von Paris am Ufer der Loire. Vor vier Jahrhunderten war
sie von Johanna, genannt die Jungfrau von Orleans, von der britischen
Belagerung befreit worden; und nun lag sie an der Frontlinie eines
anderen Krieges, der eine noch größere Gefahr für
Frankreich darstellte.
    Traveller bestand darauf, daß die Wassertanks
aufgefüllt wurden, und landete die Phaeton – zu
meiner größten Verwunderung – am Ufer des Flusses.
Lauthals meckernd half ich ihm dabei, einen Schlauch zum
schilfbestandenen Flußufer auszurollen und stand ungeduldig
daneben, während die Pumpen des Schiffes die von den Motoren
benötigte Flüssigkeit ansaugten.
    Wir erreichten Orleans kurz vor halb acht. Trotz Gambettas
kürzlichen Sieges beim nahegelegenen Coulmiers war Orleans
selbst noch immer besetzt. Und, als wir vielleicht eine Viertelmeile
über den Dächern und Türmen der Stadt schwebten und
die nach oben gewandten Gesichter der Einwohner durch

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