Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
gewesen waren.
Beim Anblick dieser Leute machte mein Herz einen Sprung; wenn
Menschen der höheren Gesellschaft seit dem unglücklichen
Stapellauf des Schiffes an Bord geblieben waren, dann bestand in der
Tat die Hoffnung, daß Françoise noch am Leben war.
    Traveller hielt die Phaeton für kurze Zeit in einer
stationären Position, bis seine Intention deutlich wurde; und
einer der Husarenoffiziere schickte sich an, eine Landefläche
freizumachen.
    Traveller setzte die Phaeton so behutsam auf wie ein rohes
Ei. Ohne abzuwarten, bis die Düsen sich abgekühlt hatten,
öffnete ich die Luken, rollte eine Strickleiter aus und
kletterte auf das Deck hinab.
    Das intensiver werdende Sonnenlicht blendete mich. (Es war bereits
halb neun.) Als die letzten Echos des Motorenlärms verklungen
waren, kam die Belegschaft des Promenadendecks, Soldaten und
Zivilisten gleichermaßen, auf uns zu. Jeder trug ein Gewehr
– selbst, wie ich mit einem Schock feststellte, eine Frau! Diese
außergewöhnliche Person trug die Überreste eines
Seidenkleides, das dem ähnelte, welches Françoise am Tag
des Stapellaufes getragen hatte; aber dieses Kleid war
blutverschmiert und zerrissen und enthüllte einen Fundus an
Unterwäsche, der unter weniger düsteren Umständen
indiskret hätte erscheinen können. Ihr Gesicht war
schmutzig, und die Augen waren dunkel gerändert; sie hielt eine
Flinte in der Hand, deren Mündung auf mich wies, wobei sie im
Umgang mit der Waffe ihren männlichen Kameraden in nichts
nachzustehen schien.
    Aus dieser mißtrauischen Menge löste sich der Offizier,
der für uns das Deck geräumt hatte. Er war ein großer
Mann von etwa dreißig Jahren, dem die braune Uniform und die
weiße Schärpe seines Regimentes gut zu Gesicht standen,
und seine intensiven braunen Augen und der Oberlippenbart, eingerahmt
von einem messingfarbenen Kinnriemen, verrieten Energie, Intelligenz
und Kompetenz. Aber auch seine Augen waren dunkel gerändert, und
das Gesicht war mit den Stoppeln eines mehrere Tage alten Bartes
übersät. Er stellte sich als Hauptmann des Zweiten
Husarenregimentes vor und befragte uns zu unserer Identität;
aber bevor ich noch antworten konnte, ertönte vom östlichen
Horizont ein Geräusch wie ein unterdrücktes Husten.
    Der Husar ließ sich auf das Deck fallen, als ob er mit der
Sense niedergemäht worden wäre; Traveller und ich folgten
seinem Beispiel etwas langsamer. »Preußische
Artillerie«, flüsterte Traveller.
    »Was? Sind wir schon so nahe?«
    »Zweifellos. Wenn sie sich erst eingeschossen haben,
dann…«
    Ein schrilles Pfeifen schnitt durch die Luft, irgendwo zu meiner
Linken; eine Granate fiel in einiger Entfernung von dem Meer aus
französischen Soldaten zu Boden und explodierte harmlos, was
einen müden Jubel der Passagiere der Albert hervorrief.
    Aber das Applaudieren verging ihnen, als eine zweite Granate
vielleicht eine Viertelmeile hinter uns den Boden umpflügte und
die Soldaten wie Kegel umwarf. Das Deck schüttelte sich unter
mir, und mit Erschrecken sah ich, daß ein großes
Stück rostbrauner Erde in die Luft geschleudert wurde. Das sich
mit menschlichem Fleisch vermischende Erdreich ließ den
Eindruck aufkommen, die Erde selbst wäre verwundet worden.
    »Traveller, ist das der Krieg?«
    »Ich befürchte es, Junge.«
    Der Husarenoffizier wandte sich uns zu und sagte schnell auf
französisch: »Meine Herren, wie Ihr seht, stecken wir fest;
wenn Ihr nicht wollt, daß Euer Wunderspielzeug in Stücke
geschossen wird, würde ich Euch empfehlen, zu einem ruhigeren
Ort zu fliegen.«
    Ich ergriff seinen Arm. »Wartet! Wir suchen einen weiblichen
Passagier auf diesem Schiff; sie wurde hier eingeschlossen,
als…«
    Aber der Hauptmann schüttelte meine Hand mit zorniger
Ungeduld ab und eilte zu seiner Kompanie.
    Ich drehte mich zu Traveller um. »Ich muß sie
finden.«
    »Ned, uns bleiben nur noch Minuten. Ein guter Schuß von
diesen Preußen…«
    Verzweifelt packte ich ihn an der Schulter. »Wir haben es
doch schon so weit geschafft. Werdet Ihr auf mich warten?«
    Er schubste mich fort. »Beeilt Euch, Junge.«
     
    Meine Wanderung über das Deck glich einem Alptraum. In meinem
Innersten konnte ich einfach kein anderes Bild von Françoise
akzeptieren als das eines gefangenen Passagiers, eines Opfers. Also
suchte ich sie an Stellen, an denen sie sich vielleicht versteckte
oder eingesperrt war. Ich suchte Niedergänge ab, die in das
Innere des Schiffes führten; aber die Orte, an denen einst der
Champagner

Weitere Kostenlose Bücher