Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Kindermädchen und der Migränepatientin, der die Zehen geleckt wurden. Und selbst diese Patienten konnte er mit seiner angeblich revolutionären Methode nicht heilen. Achtzehn Fälle? Über diese Fantasiezahl, die Wissenschaftlichkeit suggerieren soll, kann man nur milde lächeln.
Erinnern wir uns, dass Freud in Zur Ätiologie der Hysterie geschrieben hatte, dass »[…] die Auszeichnung des sexuellen Moments in der Ätiologie der Hysterie bei mir mindestens keiner vorgefaßten Meinung entstammt. […] Erst die mühseligsten Detailuntersuchungen haben mich, und zwar langsam genug, zu der Meinung bekehrt, die ich heute vertrete. Wenn Sie meine Behauptung, die Ätiologie auch der Hysterie läge im Sexualleben, der strengsten Prüfung unterziehen, so erweist sie sich als vertretbar durch die Angabe, daß ich in etwa achtzehn Fällen von Hysterie diesen Zusammenhang für jedes einzelne Symptom erkennen und, wo es die Verhältnisse gestatteten, durch den therapeutischen Erfolg bekräftigen konnte.« ( Zur Ätiologie der Hysterie, Bd. I, S. 435) Das trug er auch am 21. April 1896 auf der Konferenz des Vereins für Psychiatrie und Neurologie in Wien vor. Er gab selbst zu, dass die versammelten Fachleute äußerst skeptisch auf seine Theorie reagiert hatten. In diesem Zusammenhang amüsiert auch folgendes Geständnis: »Vielleicht ist es übrigens eine Folge meiner Beschäftigung mit der Psychoanalyse, daß ich kaum mehr lügen kann.« ( Zur Psychopathologie des Alltagslebens, Bd. IV, S. 247) Interessant ist hier vor allem das kaum.
Als zweiten Grund nannte Freud »das Davonlaufen der eine Zeitlang am besten gepackten Leute« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 283). Es ist schon ziemlich naiv, auf treue Patienten zu hoffen, wenn man ihnen gleichzeitig sagt, ihre Probleme erklärten sich aus der Vergewaltigung durch den eigenen Vater in der Kindheit!
Wie reagierte Freud nun auf diese Zweifel? Er müsse sie »als Ergebnis ehrlicher und kräftiger intellektueller Arbeit anerkennen und stolz darauf sein, daß ich nach solcher Vertiefung solcher Kritik noch fähig bin.« (ebd., S. 284) Und weiter: »Merkwürdig ist auch, daß jedes Gefühl von Beschämung ausgeblieben ist, zu dem doch ein Anlaß sein könnte.« (ebd.) Aber: »vor Dir und bei mir habe ich eigentlich mehr das Gefühl eines Sieges als einer Niederlage (was doch nicht recht ist).« (ebd., S. 285) Und dann: »Ich könnte mich ja sehr unzufrieden fühlen. Die Erwartung des ewigen Nachruhms war so schön und des sicheren Reichtums, die volle Unabhängigkeit, das Reisen, die Hebung der Kinder über die schweren Sorgen, die mich um meine Jugend gebracht haben. Das hing alles daran, ob die Hysterie aufgeht oder nicht.« (ebd.) Und schließlich: »Schade, daß man vom Traumdeuten z. B. nicht leben kann.« (ebd. S. 286)
Im Angesicht der falschen Theorie, mit der Freud seinen Patienten und deren Vätern Schaden zugefügt hatte, sprach er doch tatsächlich von der intellektuellen Redlichkeit seiner Arbeit, zeigte sich stolz, zur Selbstkritik fähig zu sein (!), schämte sich nicht, obwohl er nach eigenem Bekunden hätte Scham empfinden müssen, und sah sich gar (erneut!) als Sieger. Er verlor kein Wort über die geschädigten Patienten oder die Kollateralschäden in deren Familien; er zeigte keine Reue. Außer sich selbst gegenüber – denn nun würde er nicht reich und berühmt werden und nicht das bürgerliche Leben führen können, das er anstrebte. Er wünschte sich, eine Beschäftigung zu finden, in der Fehler sich nicht, wie im Fall der Theorie der Verführung, in Form finanzieller Einbußen auswirken. Bald schon sollte ihm die Psychoanalyse diesen Wunsch erfüllen.
Es fiel Freud nicht leicht, seine Theorie der Verführung aufzugeben. Schon in seinem Brief an Fließ führte er als dritten Grund für seine Kehrtwende an, dass er der Theorie nach alle Väter zu Perversen erklären müsste, auch den eigenen. Das war natürlich
nicht so einfach! In einem Brief vom 3. Oktober 1897 sprach er seinen Vater schließlich von dieser Schuld frei: »Ich kann nur andeuten, daß der Alte bei mir keine aktive Rolle spielt« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 288). Doch nun musste er die Gründe für das Scheitern seiner Theorie benennen. In einem Brief vom 21. September 1897 blitzte so etwas wie Erkenntnis auf, nämlich »die sichere Einsicht, daß es im Unbewußten ein Realitätszeichen nicht gibt, so daß man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden
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