Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
ist bekannt, dass Kinder in den ersten Lebensjahren koprophile Neigungen haben.
In der phallischen Phase im Alter von drei bis fünf Jahren entwickelt die Libido ihre sogenannte normale Topik: Die erogene Zone umfasst nun die Sexualorgane, und die Sexualität wird intersubjektiv. In dieser Phase entdecken Kinder den Geschlechterunterschied und die Rolle von Vater und Mutter bei Sexualität und Fortpflanzung. Jungen entwickeln den Ödipuskomplex und die Kastrationsangst, Mädchen den Penisneid – hierauf wird noch zurückzukommen sein. Zur gleichen Zeit entsteht auch das Über-Ich, jene Instanz der sozialen Kontrolle, die moralische, soziale und ethische Zwänge betrifft.
Das Abebben des Ödipuskomplexes (auf dessen genauere Umstände ich später eingehen werde) mündet in einer Latenzzeit. Sie beginnt mit sechs Jahren (in den nach 1924 datierten Ausgaben von Charakter und Analerotik schon mit vier Jahren) und endet um das elfte Lebensjahr herum. Dann, wenn die Sexualität zum Hauptanliegen des Kindes zu werden scheint, führt die Kraft des Ödipus’ die Verdrängung der Latenz herbei. In dieser Zeit würdigt das Kind das andere Geschlecht herab, verinnerlicht Verbote
und die Technik der Sublimierung. Anders gesagt, die Triebe werden in gesellschaftlich akzeptable Bahnen geleitet, das Kind wird vernünftig und eignet sich die Vorstellungen und Werte seiner Kultur an.
In der Pubertät rebelliert der Jugendliche gegen Autoritäten in Gestalt der Eltern, der Gesellschaft, der Religion oder der sozialen und moralischen Ordnung. Auch der Körper verändert sich. Der anatomische Wandel zum Erwachsenen verwirrt das Kind. Sexuelle Identität wird problematisch, Bisexualität ein Thema. Es kann Phasen mit homosexuellen Experimenten geben, die aber nicht auf eine spätere Homosexualität vorausweisen. Am Ende der Entwicklung steht eine nicht ohne Schwierigkeiten erlangte, klare sexuelle Identität.
Aufgrund der Entwicklungen in den ersten fünf Lebensjahren des Kindes können sich durch Traumata Fixierungen herausbilden. Sie erklären bestimmte Verhaltensweisen oder Krankheitsbilder. Aus der Fixierung auf die anale Phase beispielsweise entstehen Geiz, die Faszination für Zahlen, die Neigung zu extremer Sauberkeit oder extremer Unreinlichkeit, Zwangsneurosen und Sammelleidenschaften (Freud sammelte Feuerzeuge und Briefmarken). Die Fixierung auf die orale Phase führt zu Hysterie. Zu den möglichen Traumata gehören eine zu lange Phase des Glücks, eine kurze, frustrierende unglückliche Zeit oder eine brutale, unerwartete Trennung. Bonvivants, Gastronomen, Weinliebhaber, große Redner oder Plauderer könnten hier Erklärungen für ihre jeweiligen Leidenschaften finden.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, inwiefern Freuds Verdauungsprobleme auf einen bestimmten Abschnitt seines Lebens bezogen sind. Als durchschnittliche Dauer der oralen Phase gab Freud die Zeit vom achtzehnten Lebensmonat bis zum dritten Lebensjahr an. Das entspricht den Jahren 1857 bis 1859 in seiner eigenen Biographie – eine Zeit, in der seine Mutter Amalia mit Schwester Anna schwanger war. Ein kleines Mädchen, das
den Bauch der Mutter verlassen würde – genau wie jene Materie, die Freud zeitlebens Probleme bereiten sollte. Die Tragkraft der psychopathologischen These, Freud habe sein Leben lang mit seiner Verdauungsneurose den aufgeblähten Bauch der Mutter nachgestellt, muss jeder für sich beurteilen. Doch angesichts von Freuds – zur Erklärung des eigenen Trieblebens stets bestens geeigneten – Theorien drängt sie sich auf.
Fäkalien hatten in Freuds Denken also besondere Bedeutung. Er stützte sich auf Märchen, Folklore und alte Kulturen, aber auch auf Redewendungen, und er zählte Darstellungen auf, in denen Gold und Exkremente – meistens jene des Teufels – gleichgesetzt wurden. Auf die für ihn typische Weise kam er so zu dem Schluss, »das Geld [werde] in innigste Beziehungen zum Drecke gebracht.« ( Charakter und Analerotik, Bd. VII, S. 207) Personen mit analem Charakter seien folglich »ordentlich, sparsam und eigensinnig« (ebd., S. 203). Freud selbst war übrigens nie besonders unordentlich, verschwenderisch oder geistig flexibel.
Mutters Gold-Sigi konzipierte also eine symbolische Äquivalenz zwischen dem edelsten und dem niedrigsten aller Stoffe, zwischen dem Machtsymbol schlechthin, mit dem man alles bekommen kann, und den Fäkalien, die für den Abfall stehen und für alles Unschöne, das nach dem
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