Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
also gar keine Notwendigkeit, den Patienten zu hypnotisieren, zumal Freud dies ohnehin nicht beherrschte. Die neue Technik kombinierte das Handauflegen und die Hypnose. So konnte der Analytiker sein Gesicht wahren, war doch das Misslingen der Hypnose nun nicht mehr der Inkompetenz des Therapeuten, sondern dem Widerstand des Patienten anzulasten. Dass Freuds Patienten nicht einschliefen, war allein ihre Schuld.
Nach der langen Reise durch das Labyrinth der Therapien können wir nun die Dimensionen von Freuds Irrfahrt ermessen, die von seinem achtundzwanzigsten bis zu seinem vierundfünfzigsten Lebensjahr dauerte. Während dieses Vierteljahrhunderts behandelte er unaufhörlich Patienten in seiner Praxis.
Mit echtem Erstaunen lesen wir deshalb einen ganz bestimmten Satz aus dem Beitrag Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung (1914). Hier zeigt sich ein bescheidener Freud, der von Selbstzweifeln zwischen 1902 – dem Beginn der Mittwochstreffen der Psychologischen Vereinigung – und 1907 – dem Jahr, in dem er sich seiner Theorie sicher war – berichtete. »Ich selbst wagte es nicht, eine noch unfertige Technik und eine im steten Fluß begriffene Theorie mit jener Autorität vorzutragen, die den anderen wahrscheinlich manche Irrwege und endliche Entgleisungen erspart hätte.« ( Zur Geschichte der psychoanalytischen
Bewegung, Bd. X, S. 64) Und doch äußerte er weder in seinen Texten über Kokain, Hysterie oder Psychoanalyse noch in den Briefen aus dieser Zeit Zweifel an der eigenen Methode – als hätte er nie selbstsicher behauptet, den Stein der Weisen gefunden zu haben! Zwei Jahrzehnte lang schwieg er über den »unfertigen« Charakter seiner »im Fluß begriffenen« Theorie und – weit schlimmer – seiner Therapieform.
Wo versteckt sich der wahre Freud? Ist es der Kokainverfechter, der die Substanz 1885 zum Wunderstoff erklärte? Oder der Anhänger der Elektrotherapie aus den Jahren 1886 und 1887? Oder der Vorkämpfer für Heilbäder und Hydrotherapie, der er zur gleichen Zeit war? Hoffentlich ist es nicht der Hypnotiseur von 1888, zu dem man ja den Handaufleger rechnen müsste. Und was ist mit der Harnröhrensonde aus dem Jahr 1910?
Beim Verfassen der persönlichen Legende mithilfe autobiographischer Texte wie Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung (1914) oder »Selbstdarstellung« (1925) brachte Freud dieses Chaos in eine lineare Reihenfolge und präsentierte jeden wissenschaftlichen Irrweg als Vorstufe der Psychoanalyse, die so als perfekte Ikone erschien. Seine Version der Geschichte lautete so: Nach der experimentellen Phase mit dem Kokain lehrte die Elektrotherapie ihn, dass die therapeutische Wirkung auf der Suggestion beruhe. Den Psychrophor erwähnte er nicht einmal; im gesamten Werk kommt das Wort kein einziges Mal vor. Zum Glück findet es sich in den Briefen, weshalb die Tempelhüter diese natürlich geheim oder unzugänglich halten wollen. Auch über die Thermalbehandlungen schwieg Freud, obwohl er sie selbst lange Zeit gemeinsam mit seiner Schwägerin praktiziert hatte. Das Handauflegen sollte von seiner Unfähigkeit, Hypnose richtig anzuwenden, ablenken, doch Freud behauptete, so den Widerstand des Patienten entdeckt zu haben, der zu einem der wichtigsten Konzepte der Psychoanalyse werden sollte.
Wer heute mit Kokain, Harnröhrensonden, Hypnose und dergleichen behandeln will, findet in Freuds Texten der Jahre 1884
bis 1910 – man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass diese Zeitspanne ein Vierteljahrhundert umfasst – genügend Belegstellen zur Rechtfertigung dieser Praktiken. Mit der Psychoanalyse haben sie gemeinsam, dass sie ausschließlich durch den Placeboeffekt wirken.
Zur Wundertüte freudscher Therapiemethoden gehört auch ein Text, der nicht in der Werkausgabe enthalten ist, sondern lediglich im Nachtragsband. Es handelt sich um ein an Fließ gesandtes, nicht zur Veröffentlichung bestimmtes Manuskript: Entwurf einer Psychologie, datiert von 1895 und Teil von Freuds Irrungen und Wirrungen zwischen 1892 und 1910. Wir haben bereits gesehen, dass Freuds zunächst euphorische und später ablehnende Haltung diesem Text gegenüber wahrscheinlich mit dem Kokainkonsum in Zusammenhang stand.
Doch es lohnt sich, diese Seiten genauer zu betrachten. Der erfolgshungrige Neurologe, der sein Geld mit der Behandlung von Geisteskrankheiten verdienen wollte; der Opportunist, der so berühmt werden wollte wie Charcot; der von den Institutionen verlachte
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