Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter. Er bemerkte, dass manche Dinge entzweigehen müssen, damit sich das System verbessert. Üblicherweise wird das als kreative Zerstörung bezeichnet – die zugrunde liegende Vorstellung wurde wie so viele andere auch von dem Philosophen Karl Marx entwickelt; entdeckt wurde sie außerdem, wie ich im siebzehnten Kapitel zeige, von Friedrich Nietzsche. Allerdings dachte Schumpeter nicht in den Kategorien Unsicherheit und Opakheit; er war ganz und gar vom Interventionismus verblendet und hing der Illusion an, es sei Aufgabe der Regierungen, Erneuerungen per Anordnung anzustoßen, eine Auffassung, die ich weiter unten widerlegen werde. Auch die Vorstellung der Schichtung evolutionärer Spannungen entging ihm. Ganz entscheidend aber: Sowohl er als auch seine Kritiker (Wirtschaftswissenschaftler in Harvard, die meinten, Schumpeter verstünde nichts von Mathematik) begriffen nicht die Idee von Antifragilität qua Asymmetrie-(Optionalitäts-)Effekten, also den Stein der Weisen (dazu später mehr) als Wachstumsmotor. Das heißt, die Hälfte allen Lebens blieb ihnen verborgen.
Die Sowjet-Harvard-Abteilung für Ornithologie
Technisches Know-how geht zu einem bedeutenden Anteil auf Antifragilität zurück, auf Optionalität, auf Versuch und Irrtum. Manche Leute und gewisse Institutionen wollen diesen Umstand allerdings vor uns (und sich selbst) verbergen oder zumindest herunterspielen.
Es gibt zwei Arten von Wissen. Die erste ist im strengen Sinn kein »Wissen«; aufgrund ihres mehrdeutigen Charakters lässt sie sich nicht mit strengen Definitionen von Wissen umschreiben. Es ist eine Art und Weise, etwas zu tun, das wir in klarer, direkter Sprache nicht ausdrücken können – manchmal fällt der Begriff apophatisch – und doch praktizieren wir es, und wir machen es gut. Der zweite Typ entspricht mehr dem, was wir herkömmlicherweise als »Wissen« bezeichnen: Er umfasst das, was man in der Schule lernt, wofür man Noten bekommt, was man kodifzieren kann, was erklärbar ist, akademisierbar, rationalisierbar, formalisierbar, theoretisierbar, sowjetifizierbar, bürokratisierbar, harvardifizierbar, beweisbar und so weiter.
Der Irrtum des naiven Rationalismus führt zur Überschätzung der Rolle und Notwendigkeit des zweiten Typs, des akademischen Wissens, in unserem Leben – und zur Geringschätzung des nicht kodifizierbaren, komplexeren, intuitiven, erfahrungsbasierten Typs.
Dieses erklärbare Wissen spielt allerdings für das Leben eine derart geringfügige Rolle, dass es schon nicht mehr witzig ist. Für diese Feststellung gibt es keinen Gegenbeweis.
Sehr wahrscheinlich glauben wir, dass Fähigkeiten und Ideen, die wir uns in Wahrheit durch antifragiles Handeln angeeignet haben oder die wir von Natur aus (aufgrund unserer angeborenen Instinkte) hatten, aus Büchern, Ideen und logischem Denken stammen. Wir lassen uns davon blenden; womöglich gibt es ja sogar etwas in unserem Gehirn, das uns in dieser Hinsicht zu Dummköpfen macht. Schauen wir, was da vor sich geht.
Kürzlich suchte ich nach Definitionen für den Begriff Technik. In den meisten Texten wird Technik definiert als die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf praktische Maßnahmen – wir werden also dazu verleitet, an einen Wissensstrom zu glauben, der überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich von der erhabenen »Wissenschaft« ausgeht (die um eine priesterliche Gruppe von Personen mit Titeln vor ihren Namen organisiert ist) und sich in die Niederungen der Praxis ergießt (in der uneingeweihte Menschen herumwerkeln, die nicht über die intellektuelle Leistungsfähigkeit verfügen, welche ihnen einen Zugang zur Priesterkaste ermöglichen würde).
Zumeist wird der Prozess der Wissensvermittlung folgendermaßen dargestellt: Grundlagenforschung erzeugt theoretisches Wissen, das seinerseits Techniken erzeugt, die dann zu verschiedenen praktischen Anwendungen führen, welche ihrerseits Wirtschaftswachstum und andere Angelegenheiten von anerkanntem öffentlichem Interesse zur Folge haben. Der Ertrag aus den »Investitionen« in die Grundlagenforschung wird teilweise umgewandelt in weitere Investitionen in die Grundlagenforschung, und die Bürger profitieren davon und genießen die Segnungen dieses wissens-generierten Wohlstands in Form von Volvos, Skiferien, Mittelmeerdiäten und langen Sommerspaziergängen in sauber gewarteten öffentlichen Parks.
So sieht das Bacon’sche Linearmodell aus, benannt nach dem
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