Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
hier ein »Vorteil« von 24 Prozent.
Es gibt zwei Verzerrungen: einmal den elementaren Konvexitätseffekt, der dazu führt, dass die Eigenschaften des Durchschnitts von etwas (hier 3,5) als diejenigen einer (konvexen) Funktion von etwas (hier 15,17) missverstanden werden; und die zweite, tiefer greifende, bei der der Durchschnitt einer Funktion mit der Funktion eines Durchschnitts verwechselt wird, hier 15,17 mit 12,25. Letztere repräsentiert Optionalität.
Eine Person mit linearem Ergebnis muss in mehr als 50 Prozent der Fälle richtig liegen – eine Person mit konvexem Ergebnis sehr viel seltener. Der verborgene Nutzen der Antifragilität besteht darin, dass Sie sich bei zufälliger Auswahl vergleichsweise häufiger vertun können und trotzdem schlussendlich besser sind. Darin besteht die Macht der Optionalität: Ihre Funktion von Etwas ist sehr konvex, Sie können sich also irren und trotzdem noch profitieren – je mehr Ungewissheit, desto besser.
Das erklärt, warum ich behaupten kann, dass Sie dumm und antifragil sein und trotzdem gut abschneiden können.
Diese verstärkte »Konvexitätsverzerrung« geht auf eine mathematische Eigenschaft namens Jensen’sche Ungleichung zurück. Sie kommt im gegenwärtigen Diskurs über Innovationen nicht vor. Wenn man aber die Konvexitätsverzerrung außer Acht lässt, dann entgeht einem ein Großteil dessen, was die nichtlineare Welt regiert. Und es ist schlicht eine Tatsache, dass diese Vorstellung im Diskurs nicht vorkommt. So leid es mir tut. 68
Wie man Gold in Dreck verwandelt: Der umgekehrte Stein der Weisen
Kehren wir zu dem vorigen Beispiel zurück, als Funktion nehmen wir diesmal die Quadratwurzel (das genaue Gegenteil der Quadratur; die Wurzel ist konkav, allerdings sehr viel weniger konkav, als die Quadratur konvex ist).
Die Wurzel aus dem erwarteten (durchschnittlichen) Ergebnis wäre dann √(1+2+3+4+5+6 geteilt durch 6) ist gleich √3,5, hier 1,87. Die Funktion des Durchschnitts ist gleich 1,87.
Der Durchschnitt der Funktion hingegen ergibt sich wie folgt: Zieht man die Wurzel aus jedem einzelnen Ergebnis (√1+√2+√3+√4+√5+√6) und teilt durch 6, errechnet man also das Ergebnis der durchschnittlichen Wurzel, dann erhält man als Durchschnitt der Funktion einen Wert von 1,80.
Der Unterschied wird als »negative Konvexitätsverzerrung« (oder wenn Sie es ganz genau haben wollen, als »Konkavitätsverzerrung«) bezeichnet: Der versteckte Nachteil der Fragilität besteht darin, dass Sie bei zufälliger Auswahl – nur um dem negativen Effekt zu entkommen – vergleichsweise sehr, sehr viel bessere Voraussagen treffen und sehr viel genauer wissen müssen, in welche Richtung Sie sich bewegen.
Ich fasse das Argument noch einmal kurz zusammen: Wenn Sie günstige Asymmetrien haben oder positive Konvexität (ein Spezialfall sind Optionen), dann wird es Ihnen auf Dauer vergleichsweise gut gehen, und Sie werden im Zusammenhang mit Ungewissheit besser sein als der Durchschnitt. Je mehr Ungewissheit, desto stärker kann sich Optionalität auswirken und desto besser werden Sie abschneiden. Diese Einsicht ist von sehr zentraler Bedeutung für das ganze Leben.
66 Die Methode erfordert kein großartiges Modell zur Risikomessung. Stellen Sie sich einen Meterstab vor. Sie wissen, dass er falsch geeicht ist. Man kann damit nicht die Körpergröße eines Kindes messen. Aber was Sie auf jeden Fall feststellen können, ist, ob das Kind wächst. Der Fehler, den Sie bezüglich des Größenwachstums bekommen, ist außerdem sehr, sehr viel kleiner als der Fehler, der sich ergeben würde, wenn Sie die Größe als solche messen. Dasselbe gilt bei einer Waage: Wie altersschwach sie auch ist, sie wird in den meisten Fällen noch anzeigen können, ob Sie zugenommen haben, also hören Sie auf, ihr die Schuld zu geben. Konvexität hängt mit Beschleunigung zusammen. Bemerkenswert bei der Messung von Konvexitätseffekten zur Aufdeckung von Modellirrtümern ist der Umstand, dass selbst dann, wenn das Modell, das für die Berechnung benutzt wird, falsch sein sollte, es Ihnen trotzdem Aufschluss darüber geben kann, ob und in welchem Maß etwas fragil ist. Und mit dem defekten Maßstab betrachten wir eben ausschließlich Effekte zweiter Ordnung.
67 Ich vereinfache hier etwas. Möglicherweise gibt es einige wenige Temperaturvariationen um den Wert von 21 Grad herum, bei denen es der Großmutter besser geht als bei genau 21 Grad, aber diese Nuance lasse ich jetzt außen vor.
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