Antonias Wille
Rosanna im Herbst 1907 einen Teil des Spichers zu einem kleinen Andenkenladen umbaute, fanden sich in den Regalen neben selbst gemachten Säften und Marmeladen auch Margrets Spanschachteln, verziert mit der Ansicht des Hotels. Gottlieb Königs Ringelblumensalben und Gesundheitselixiere vervollständigten neben Spazierstöcken aus Eschenstämmchen das Angebot. Die bizarr gebogenen Spazierstöcke fanden einen derart reiÃenden Absatz, dass sich Rosanna entschloss, auf einem der Reutberge Eschenschösslinge setzen zu lassen. So entstand zum groÃen Entzücken der Fremden die erste Spazierstockfarm der Gegend.
Wer einmal im »Hotel Kuckucksnest« gewesen war, kam stets wieder, brachte Freunde oder Verwandte mit, die nun ihrerseitsdie liebenswerte, schöne und so überaus aufmerksame Hotelwirtin kennen lernen wollten.
Das Haus, das Rosanna zur Heimat geworden war, wurde nun auch für viele fremde Menschen zu einem zweiten Zuhause.
Rosanna war glücklich, und ihre Stammgäste waren es auch. Im Laufe der Zeit zählten dazu auch immer mehr bekannte Schauspieler, zum Beispiel von der Baden-Badener Bühne, und ebenso Maler und Schriftsteller. Wann immer eine bekannte Persönlichkeit im »Kuckucksnest« auftauchte, widmete sich Rosanna ihr auf den Seiten ihres Tagebuchs in aller Ausführlichkeit. Sie berichtete, in welchen Theaterstücken ihr Gast mitgewirkt hatte oder wo die Bilder eines Malers schon ausgestellt worden waren. Oder dass sie von einem Dichter ein signiertes Exemplar seines Buches geschenkt bekommen hatte. Rosanna schien solche Menschen zu sammeln, wie andere Menschen Wanduhren oder Tabakspfeifen horteten, und war jedes Mal überaus stolz, ihrer Sammlung ein weiteres Exemplar hinzufügen zu können. Die Leistungen dieser Menschen, ihre Bekanntheit wurden für Rosanna ein Gradmesser ihres eigenen Erfolges.
Für ihre Gäste sah es so aus, als erledige sie alles mit leichter Hand. Doch das war nicht immer der Fall. Wenn sie einen Berater brauchte â ohne fachmännische Unterstützung kam sie bei einigen ihrer Projekte einfach nicht zurecht â, musste sie sich oft erst überwinden, einen »solch wichtigen Mann« anzusprechen. Und wie hatte sie gezaudert, als es darum ging, für das Hotel Postkarten machen zu lassen! Immer wieder hatte sie den Besuch beim Rombacher Fotografen hinausgezögert. »Fotografien sind nur etwas für vornehme Leute«, pflegte sie zu sagen. Erst als Claudine eines Tages mit einem Wanderfotografen im Schlepptau auftauchte und Rosanna geradezu zwang, sich im besten Sonntagsstaat neben den Eingang ihres Hotels zu stellen und fotografieren zu lassen, war das Eis gebrochen. Rosanna war von dem Bild so entzückt, dass sie fortan jede Gelegenheitnutzte, Bilder von sich, ihrem Hotel und seinen Gästen zu bekommen. Bald gab es im Andenkenladen auch Ansichten des »Kuckucksnests« als Postkarten zu kaufen.
Natürlich wurde alles, was sich oben auf dem Berg tat, unten im Dorf mit groÃem Interesse zur Kenntnis genommen. Genauer gesagt, die Leute hatten noch nie zuvor so viel zu tratschen gehabt. »Die zwei alten Jungfern« wurden Rosanna und Simone hinter vorgehaltener Hand genannt. Ihr Hotel war »ein Weiberhaushalt« und »ein Kuckucksnest obendrein«. Das alles konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Als Rosanna Tennisplätze anlegen lieà und nur wenige Monate später riesige Scheiben für Bogenschützen auf den Berg gefahren wurden â beides unter fachmännischer Anleitung â, schüttelten die Rombacher fassungslos die Köpfe. Und als Rosanna im Winter darauf einen Skilift errichten lieàâ im Jahr zuvor war sie in Schollach gewesen, um sich dort den ersten Skilift der Welt anzuschauen â, erklärten die Leute sie endgültig für verrückt. Wie Menschen von einem anderen Stern wurden die Skifahrer bestaunt, die ins Dorf hinabfuhren, um sich dann mittels Turbinenkraft vom Lift wieder auf den Berg schleppen zu lassen.
Doch selbst die gröÃten Skeptiker, die ärgsten Lästermäuler mussten im Stillen zugeben, dass das Dorf von Rosannas Geschäftstüchtigkeit profitierte. Rosanna war zu einer wichtigen Arbeitgeberin geworden. Sie beschäftigte Küchenmägde, Zimmermädchen, einen Pagen, Musiker für den Tanzsaal, Leute für den Garten und einen Knecht für die Pferde. Eine Arbeit im groÃen
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