Antonias Wille
hinzugefügt, woraufhin Anton lediglich mit den Schultern zuckte.
Blinzelnd schaute Simone in das grelle Sonnenlicht.
Die anderen gingen in die Kirche, um sich göttlichen Beistand zu holen. Sie selbst liebte es ebenfalls, ins Gotteshaus zu gehen, auch wenn die Mutter es höchstens alle vier Wochen erlaubte. Der Weihrauch, die schönen Lieder, die stimmungsvollen Predigten, die der Herr Pfarrer hielt â in diesen Stunden konnte sie alles andere vergessen. Und ihre Gebete hatte Gott längst erhört. Er hatte ihr Rosanna geschickt.
Bei diesem Gedanken wurde Simones Gesicht ganz weich. So weich wie ihr Herz, wenn sie an die Freundin dachte.
Ja, Rosanna war ihr Engel.
Sie hatte zwar keine Flügel wie der Engel auf dem riesigen Bild, das über dem Bett der Eltern hing. Sie hatte auch keinen verklärten, seligen Gesichtsausdruck â wenn Rosanna wütend wurde, konnte sie sogar ganz schön grimmig dreinschauen! Und in ein weiÃes, wallendes Engelsgewand war sie natürlich auch nicht gekleidet. Aber sie war da.
Lebendig. Ein Engel aus Fleisch und Blut.
Und sie hielt schützend ihre Hand über Simone.
An einem sonnigen Septembertag waren Simone und ich schon am frühen Morgen aufgebrochen. Den Weg, den wir nahmen, konnte man zwar nicht StraÃe nennen, aber er war recht ordentlich befestigt. Mehrmals kamen wir an Bauern vorbei, die an den Steilhängen Krummet machten, also den dritten Grasschnitt, doch auf dem letzten Stück begegneten wir niemandem mehr. Dass wir ausgerechnet in einer so einsamen Gegend auf diesen hundsgemeinen Burschen treffen würden â¦
Ich konnte mich nicht satt sehen an der Landschaft, die mit jedem Meter schroffer zu werden schien. Ihre Wildheit und Schönheit übertraf alles, was ich bisher gesehen hatte. Wann immer der Weg uns auf eine Anhöhe führte, erblickten wir in der Ferne das dunkelgraue Band der Alpen. Es war ein herrlicher Tag! Umso schrecklicher war das, was später im Wald geschah â¦
»Wehe, ihr lasst euch erwischen! Das fehlte noch, dass es heiÃt, die vom âºFuchsenâ¹ klauen anderer Leute Beeren!«, hatte Franziska die beiden Mädchen gewarnt und sie angewiesen, nicht in den umliegenden Wäldern, die allesamt Bauern aus dem Dorf gehörten, Beeren zu sammeln. »Wenn ihr an die Wegkreuzung kommt, woâs links zu meinem Vater hochgeht, müsst ihr einfach geradeaus weiterlaufen. Nach ungefähr einer Stunde seid ihr dann in so genanntem Niemandsland. Mit ein bisschen Glück könnt ihr schon vom Weg aus die Blaubeeren sehen. Wenn nicht, müsst ihr nur rechts ein paar Meter in den Wald hineingehen. Simone, du kennst dich da ja aus â schlieÃlich haben wir dort jedes Jahr Beeren gepflückt.« Man könne in dieser Gegend selbst mit verbundenen Augen fündig werden, so üppig würden die süÃen Früchte dort wachsen, hatte Franziska geschwärmt. Doch im nächsten Augenblick hatte sie sich schon wieder geschäftsmäÃig ihrer Einkaufsliste gewidmet.
So lieb Rosanna ihr neues Leben bei der Familie Breuer geworden war â hin und wieder vermisste sie die Stunden im Wald, wo sie mit sich allein sein, ihren Gedanken nachhängen und Tiere beobachten konnte, begleitet vom immer anders klingenden Konzert der Vogelstimmen. Die Aussicht auf einen Tag im Wald versetzte sie deshalb sofort in beste Laune.
Guter Dinge marschierten Rosanna und Simone den Weg entlang, den Leiterkarren mit den leeren Milchkannen im Schlepptau. Ein ganzer Tag, ohne dass jemand nach einem schrie! Heute konnten die anderen schauen, wie sie das Wirtshaus geputzt, den Gemüsegarten gehackt, die Kühe versorgt und das Essen gekocht bekamen â Rosannas und Simones Aufgabe bestand einzig darin, mit gefüllten Milchkannen voller süÃer Blaubeeren heimzukommen.
»Was für ein Wetter! Schau mal, die Berge sehen aus, als ob jemand mit einem Rasiermesser ihre Konturen ausgeschnitten hat!«
»Alpensicht im Frühjahr bedeutet gutes Wetter, aber wenn man jetzt im Herbst die Alpen sehen kann, ist das kein gutes Zeichen. Und dann noch diese Schwüle ⦠Hoffentlich bekommen wir nicht gleich einen dicken Regenguss ab«, brummte Simone. Doch schon im nächsten Moment verzog sich auch ihr Mund zu einem Lächeln. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich dieses Jahr ums Krummetmachen herumgekommen bin! Wenn ich mir vorstelle, wie der
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