Antonio im Wunderland
Müllcontainer und stinkt
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vor sich hin, aber er stört mich nicht, weil viele Leute
vorbeikommen und ihm Geschenke bringen. Da gibt es
allerhand zu beobachten.
Mülltrennung gibt es hier selbstverständlich nicht.
Ich verbringe einen halben Nachmittag mit einer span-
nenden Diskussion in meinem Kopf. Was ist besser:
die schon faschistoide Mülltrennerei deutscher Prä-
gung, die für alle möglichen Abfälle verschiedenfarbige
Tönnchen und bei Missachtung drakonische Strafen
oder zumindest den Ausschluss aus dem Gutmenschen-
tum vorsieht? Dieses philisterhaft deutsche Sortieren
von Zigarettenpackungsfolie, Zigarettenpackungsstan-
niolpapier und Zigarettenpackungspappe in unter-
schiedliche Behälter? Oder die völlige Ignoranz gegen-
über jeglichem Müll, sei es der eigene oder fremder?
Das Schulterzucken, wenn der Abfall vor sich hin stinkt
und die Ratten aus dem Container blinzeln, wenn man
seine Säcke hineinstopft?
Ebenfalls ein großes Thema für mich sind täglich
zwei konkurrierende Gemüsehändler, die im Abstand
von drei Stunden mit ihren alten Lieferwagen vorbei-
kommen und mit einer Glocke bimmeln. Dann rufen
sie, was sie im Angebot haben, und aus den Häusern
strömen die Frauen und palavern mit ihnen. Das Ange-
bot der beiden ist identisch, und die Kunden sind es
auch. Sie gehen zuerst zu dem Älteren, der zuerst
kommt, und kaufen ihm was ab, und später gehen sie
auch zu dem Jüngeren und kaufen dieselben Sachen
noch einmal. Ich sehe von oben zu, verstehe kein Wort,
rauche und frage mich: Kaufen sie die Hälfte bei dem
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einen und die andere bei dem anderen, oder kaufen sie
doppelt so viel, wie sie brauchen, um einen der beiden
nicht zu entmutigen? Sie könnten ja auch abwechselnd
an einem Tag bei dem einen und am nächsten Tag bei
dem anderen kaufen oder bei keinem von ihnen. Viel-
leicht habe ich einen Sonnenstich?
Eines Nachmittags fliegt die Tür auf, und Antonio
stürzt herein. «Schnell, du musst mir helfen!», ruft er
mir auf Italienisch zu. Er schleppt Papier und eine Pa-
ckung Schaschlikspieße herbei und beginnt damit, je
vier Spieße in die Ecken des Papiers zu bohren.
«Was wird denn das?», frage ich ehrlich neugierig.
Mir schwant, dass es sich dabei wieder einmal um eine
von Antonios genialen Geschäftsideen handeln muss.
Ich habe keinen Urlaub erlebt, an dem er die Mensch-
heit nicht mit ausgeklügelten Erfindungen beglückt
hat. Die Produktion der meisten davon wurde umge-
hend wieder eingestellt, denn entweder braucht nie-
mand seine Erfindungen, oder sie sind zu kompliziert,
oder er verkauft sie zu teuer. In unserem letzten Urlaub
in Termoli ersann er einen Handschuh, mit dem man
Sonnencreme gleichmäßig und großflächig auf dem
Körper verteilen konnte. Dachte er jedenfalls, bis er ein
paar lederne Autofahrerhandschuhe von Onkel Raffaele
in einer Testreihe ruinierte.
Ebenfalls total erfolglos: eine neue Eisgeschmacks-
richtung namens Kutteln-Zimt 1 und eine neue Sportart, 1 Klingt auf Italienisch aber eigentlich viel versprechend: trippa-cannella
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in der es darum geht, so schnell wie möglich allen Ba-
degästen die Badehosen runterzuziehen. Wer die meis-
ten schafft, hat gewonnen und mindestens ein Veil-
chen. Nur einmal, ein einziges Mal funktionierte ein
Produkt aus dem Hause Marcipane einwandfrei und
konnte Gutes tun, nämlich seine Alarmanlage.
Er verkaufte sie für 20 Euro an einen Turiner Touris-
ten, der ein sehr teures Auto besaß. Bei der Alarmanla-
ge Ilaria 2002 handelte es sich genau genommen um
seine siebenjährige Großnichte (Sie wissen schon: die
Tochter von Giancarlo und Barbara, Schwester von An-
tonio und Enkelin von Raffaele). Er platzierte sie in
Rufnähe zu dem teuren Auto und versprach ihr ein gro-
ßes Eis mit Sahne, wenn sie schrie, falls sich jemand
näherte. Der Mann aus Turin legte sich in die Sonne
und schlief. Als er wieder aufwachte, bekam er Hunger
und ging zu seinem Wagen, um Geld herauszuholen.
Als er ihn aufschließen wollte, begann Ilaria so unfass-
bar schrill zu schreien, dass im Umkreis von hundert
Metern die Glasscheiben zitterten. Dazu zeigte sie auf
den Mann am Auto und brüllte: «Autodieb, ein Auto-
dieb, ein Autodieb!» Der Mann hatte größte Mühe, den
umstehenden Menschen und der Polizei klar zu ma-
chen, dass er der Besitzer des Wagens war und die Klei-
ne da drüben sogar noch dafür bezahlte, wie am Spieß
zu brüllen.
Ilaria hörte
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