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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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erst auf zu schreien, als sie nach fünf-
    zehn Minuten hyperventilierte. Immerhin hatte sie sich
    als Alarmanlage zur Legende gemacht und erhielt nicht
    weniger als drei ernst gemeinte Anfragen von Hausbe-
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    sitzern, die zwar gut dotiert waren, aber sie hätte
    nachts arbeiten müssen, und das verbot ihre Mutter.
    Antonios neuer Clou sind nun die Schaschlikspieß-
    chen und das Papier.
    «Das, liebe Jung, iste Schatten fur arme Leut.»
    «Schatten für arme Leute?»
    «Legst di an der Strand und steckste in der Sand,
    dann kannst schlafen ohne Sonne in der Augen.»
    Soso. «Und was kostet das?»
    Antonio lässt seine Goldzähne wild funkeln. Die Gier
    springt ihm aus den Augen. «Kostete nur fünf Euro.»
    «Fünf Euro für vier Holzspießchen und ein Blatt Pa-
    pier? Das kauft doch kein Mensch.»
    Niemals gibt dafür jemand Geld aus. Antonio rech-
    net mir nun vor, dass wir mit den 200 Schaschlikspie-
    ßen 250 Euro Umsatz machen können. Das ist mehr
    als mit Schaschlik! Seine Begeisterung kennt keine
    Grenzen, und wo er Recht hat, hat er Recht. Außerdem
    will er mich am Gewinn beteiligen. Also bastele ich mit
    ihm erst einmal zwanzig Sonnendächer aus Papier,
    auch wenn ich die ganze Zeit denke, dass man sich ja
    auch ein T-Shirt oder ein Buch oder ein Handtuch oder
    einfach gar nichts auf den Kopf legen kann, wenn man
    am Strand schlafen will.
    Ich humple ihm hinterher ans Meer und werde Zeu-
    ge, wie er von Badegast zu Badegast geht, sich bückt,
    freundlich sein Produkt anbietet, es erklärt, sich zu
    Demonstrationszwecken selber flach auf den Boden
    legt, das Papier über seine Nase stülpt und mit den
    Schaschlikspießen im Sand fixiert. Gut, er muss mit
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    dem Preis runter, das war klar. Aber in kurzer Zeit sind
    die zwanzig Toni-Dächer, so heißt seine Erfindung,
    verkauft. Für immerhin 50 Cent pro Stück. Wir laufen
    zurück zum Haus und werfen unter Einspannung der
    Enkelkinder eine Massenproduktion vorindustrieller
    Art an.
    Nach einer Stunde haben wir achtzig Papierson-
    nensegel verkauft, überall auf dem Strand sind sie ver-
    teilt. Es sieht so stylish aus, wir haben ein must-have
    kreiert, das man überall auf der Welt gebrauchen kann.
    Und das Tollste ist: Auf der Oberseite ist Platz für
    Werbung! Wir werden reich. Antonio rechnet mir die
    Margen vor, mir wird schwindlig. Eine Milliarde Segel
    pro Saison! Und dann kommt, als sei es ein göttliches
    Zeichen, ein Wind auf, eine Böe, wie man sie gern hat
    am Meer. Sie fasst beherzt unter achtzig Papiersegel-
    chen, rupft sie aus dem Sand und wirbelt sie mitsamt
    der Holzspieße nach oben in die Luft. Dort schlingern
    sie, taumeln tänzelnd im Wind und fliegen davon, un-
    ter sich Menschen, die ihnen hinterherlaufen, als habe
    jemand aus einem Hubschrauber Geldscheine abge-
    worfen.
    Und da ist Antonios Traum auch schon wieder vor-
    bei. Na gut, werden wir doch nicht reich. Was gibt’s
    heute Abend zu essen?
    An unserem letzten Abend geht es mal wieder um
    Campobasso. Die Altstadt, die Heimat liegt in Trüm-
    mern. Keiner kann sie retten. Antonio hält ein flam-
    mendes Plädoyer für den Denkmalschutz und sagt, in
    meine Richtung gewandt: «Ich weiß, was zu tun ist. Ihr
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    werdet noch sehen, ich habe schon eine Idee.» Der
    Umstand, dass er dabei mich anguckt, macht mir Sor-
    gen. Ich habe da so eine Vorahnung, nämlich dass er
    irgendwas Furchtbares plant und ich ihm dabei helfen
    soll. Diese Skepsis wird sich schon bald als begründet
    erweisen, aber an diesem Abend rückt er nicht mit sei-
    nem Masterplan zur Rettung der Altstadt von Campo-
    basso heraus.
    Ich habe gerade fünfzehn Euro beim Backgammon
    gegen Gianluca verloren, da klingelt das Telefon. Es ist
    Lorella, Saras große Schwester. Sie ist mit einem Dip-
    lomingenieur namens Jürgen verheiratet. Ich habe ihn
    nur einmal gesehen, und er war mir gleich sympathisch,
    weil er etwas von Rotwein versteht. Ich finde Weinken-
    ner immer automatisch faszinierend, weil sie in dieser
    wunderbaren Aromawelt leben und Honig, Sandelholz
    und Himbeere schmecken, wo andere einfach sagen:
    «Rotwein! Das schmeckt nach … Rotwein eben.»
    Sie leben in Südafrika, und Lorella ist schwanger.
    Ursula spricht leise mit ihrer älteren Tochter. Aber sie
    ist anders als sonst, sie zittert richtig. Als sie auflegt, sind alle still, weil sie bemerkt haben, dass da etwas
    Besonderes vor sich geht. Ursula schaut zu uns herüber
    und sagt mit einer Sanftheit, die ich gar nicht von die-
    ser

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