Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
Vom Netzwerk:
finden sind.

    Saras Cousin Marco plant seinen ersten Oktoberfestbe-
    such. Er hat sich dafür ein Wohnmobil geliehen und kün-
    digt sein Kommen für das zweite Oktoberfestwochenen-
    127
    de an. Dies ist das so genannte Italiener-Wochenende, wo
    in Bayern die Verkehrsnachrichten auf Italienisch gesen-
    det werden, in der Hoffnung, die Gäste würden irgendwo
    weit draußen parken, möglichst in Rosenheim oder noch
    besser in Innsbruck. Am Italiener-Wochenende gibt es
    Lebkuchenherzen, auf denen « ti amo »steht, und ein Ge-drängel, das man schon als Mutter aller Gedrängel be-
    zeichnen kann. Das Oktoberfest ist neben der Tokioter
    U-Bahn vermutlich das Eldorado für Frotteure, besonders
    am Italiener-Wochenende, woraus man nun aber nicht
    ableiten sollte, die Italiener seien allesamt Frotteure. Sie schätzen bloß die Geselligkeit.
    Mein Fuß ist seit dem Urlaub weitgehend abge-
    schwollen, also freue ich mich auf den Besuch und wer-
    de auch mit auf die Wiesn gehen. Marco und seine
    Kumpels wollen auf keinen Fall bei uns übernachten, da
    sie ohnehin nicht vorhaben zu schlafen. Sollten sie doch
    einnicken, dann möchten sie dies wiesnnah in ihrem
    Wohnmobil tun. Sara versucht, sie zu überreden, sie
    spricht von der Möglichkeit, zu duschen oder eventuell
    ausgestreckt auf einer richtigen Matratze schlafen zu
    können. Aber Marco bleibt hart. Er hat jedoch nicht mit
    der ordnenden Kraft der bayerischen Polizei gerechnet,
    die ihm schon auf der Autobahn mitteilt, dass er keines-
    falls mit dem Wohnmobil in die Stadt könne. Das Par-
    ken rund um die Festwiese wird seit einigen Jahren weit-
    gehend unterbunden, weil die Anwohner sonst in Fäka-
    lien ertrunken wären. Also werden Marco und die Jungs
    auf einen Campingplatz umgeleitet, der von weitem aus-
    sieht wie das Freilaufgehege einer Hühnerfarm.
    128
    Marco hat zwei Freunde mitgebracht. Von weitem ist
    das Trio fast nicht zu unterscheiden, sie ähneln einan-
    der wie Tick, Trick und Track, das sind die Neffen von
    Donald Duck, die man nur anhand der unterschiedlich
    farbigen Mützen auseinander halten kann. Tick, Trick
    und Track heißen in Italien übrigens Qui, Quo und
    Qua. Und in Amerika Huey, Dewey und Louie 1 , aber das ist jetzt nicht so wichtig.
    Marcos Freund heißt Furio, ist ebenso klein, schlank
    und dunkelhaarig wie Marco. Er hat noch seinen Bru-
    der Francesco mitgebracht, der nur zehn Monate jün-
    ger ist als er selbst und daher als Krone der Schöpfung
    innerhalb seiner Familie gilt. Nach Umarmung, Küs-
    sung und dem Austausch von Komplimenten wün-
    schen die drei, unverzüglich zur festa di birra gebracht zu werden. Es ist Freitagnachmittag. Leute, das hat
    doch keinen Sinn! Außerdem regnet es. Egal, egal, egal,
    wir müssen sofort dahin, wo es Bier und Brezeln und
    was auf die Nuss gibt. In direkter Nachbarschaft zu
    Marco und seinen Begleitern campiert eine Truppe aus
    Schweden. Sie sind leicht zu identifizieren, nicht nur
    an ihrem Auto, sondern auch an den Wikingerhelmen,
    die sie tragen, während sie gerade ein Nickerchen ma-
    chen. Sie schlafen draußen, haben sich mit ihrem Zelt
    zugedeckt. Einige der Heringe stecken noch im Morast.
    Ob die Typen auf dem Oktoberfest waren, will Furio
    wissen. «O ja», antworte ich und beobachte die leicht

    1 Huey (Tick) trägt normalerweise die rote Kappe, Dewey (Trick) die blaue und Louie (Track) die grüne.
    129
    angeekelte Faszination, mit der er die Skandinavier an-
    sieht. Es ist ihm anzumerken, dass der Anblick von be-
    trunkenen Wikingern für ihn eine Premiere ist. Wir in
    München sehen das jeden Herbst. Dies und noch viel
    schrecklichere Dinge!
    Das Oktoberfest hat sich nämlich in den vergangenen
    Jahren stark verändert und ist von einer Art Gamsbart-
    Woodstock zu etwas mutiert, was man auch aus dem
    Privatfernsehen kennt: sauber angeprolte, also tätowier-
    te Massenunterhaltung in tümelnden Klamotten, deren
    Designer einmal für ihre Geschmacklosigkeiten in der
    Hölle braten werden. Authentisch ist am Oktoberfest
    eigentlich bloß noch der Kopfschmerz am nächsten
    Tag. Mit einem Volksfest hat das Ganze jedenfalls kaum
    mehr etwas zu tun, mehr mit einem Wir-sind-das-Volk-
    Fest. Man kann es in etwa mit der Silvesterfeier am
    Brandenburger Tor vergleichen. Bloß ist das Oktober-
    fest auf albtraumhafte Weise schicker und dauert vor
    allem viel länger. Marco ist das schnuppe. Er versteht
    nicht, warum die Deutschen immer so an sich und an-
    einander leiden, statt ihren Spaß zu

Weitere Kostenlose Bücher