Antonio im Wunderland
finden sind.
Saras Cousin Marco plant seinen ersten Oktoberfestbe-
such. Er hat sich dafür ein Wohnmobil geliehen und kün-
digt sein Kommen für das zweite Oktoberfestwochenen-
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de an. Dies ist das so genannte Italiener-Wochenende, wo
in Bayern die Verkehrsnachrichten auf Italienisch gesen-
det werden, in der Hoffnung, die Gäste würden irgendwo
weit draußen parken, möglichst in Rosenheim oder noch
besser in Innsbruck. Am Italiener-Wochenende gibt es
Lebkuchenherzen, auf denen « ti amo »steht, und ein Ge-drängel, das man schon als Mutter aller Gedrängel be-
zeichnen kann. Das Oktoberfest ist neben der Tokioter
U-Bahn vermutlich das Eldorado für Frotteure, besonders
am Italiener-Wochenende, woraus man nun aber nicht
ableiten sollte, die Italiener seien allesamt Frotteure. Sie schätzen bloß die Geselligkeit.
Mein Fuß ist seit dem Urlaub weitgehend abge-
schwollen, also freue ich mich auf den Besuch und wer-
de auch mit auf die Wiesn gehen. Marco und seine
Kumpels wollen auf keinen Fall bei uns übernachten, da
sie ohnehin nicht vorhaben zu schlafen. Sollten sie doch
einnicken, dann möchten sie dies wiesnnah in ihrem
Wohnmobil tun. Sara versucht, sie zu überreden, sie
spricht von der Möglichkeit, zu duschen oder eventuell
ausgestreckt auf einer richtigen Matratze schlafen zu
können. Aber Marco bleibt hart. Er hat jedoch nicht mit
der ordnenden Kraft der bayerischen Polizei gerechnet,
die ihm schon auf der Autobahn mitteilt, dass er keines-
falls mit dem Wohnmobil in die Stadt könne. Das Par-
ken rund um die Festwiese wird seit einigen Jahren weit-
gehend unterbunden, weil die Anwohner sonst in Fäka-
lien ertrunken wären. Also werden Marco und die Jungs
auf einen Campingplatz umgeleitet, der von weitem aus-
sieht wie das Freilaufgehege einer Hühnerfarm.
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Marco hat zwei Freunde mitgebracht. Von weitem ist
das Trio fast nicht zu unterscheiden, sie ähneln einan-
der wie Tick, Trick und Track, das sind die Neffen von
Donald Duck, die man nur anhand der unterschiedlich
farbigen Mützen auseinander halten kann. Tick, Trick
und Track heißen in Italien übrigens Qui, Quo und
Qua. Und in Amerika Huey, Dewey und Louie 1 , aber das ist jetzt nicht so wichtig.
Marcos Freund heißt Furio, ist ebenso klein, schlank
und dunkelhaarig wie Marco. Er hat noch seinen Bru-
der Francesco mitgebracht, der nur zehn Monate jün-
ger ist als er selbst und daher als Krone der Schöpfung
innerhalb seiner Familie gilt. Nach Umarmung, Küs-
sung und dem Austausch von Komplimenten wün-
schen die drei, unverzüglich zur festa di birra gebracht zu werden. Es ist Freitagnachmittag. Leute, das hat
doch keinen Sinn! Außerdem regnet es. Egal, egal, egal,
wir müssen sofort dahin, wo es Bier und Brezeln und
was auf die Nuss gibt. In direkter Nachbarschaft zu
Marco und seinen Begleitern campiert eine Truppe aus
Schweden. Sie sind leicht zu identifizieren, nicht nur
an ihrem Auto, sondern auch an den Wikingerhelmen,
die sie tragen, während sie gerade ein Nickerchen ma-
chen. Sie schlafen draußen, haben sich mit ihrem Zelt
zugedeckt. Einige der Heringe stecken noch im Morast.
Ob die Typen auf dem Oktoberfest waren, will Furio
wissen. «O ja», antworte ich und beobachte die leicht
1 Huey (Tick) trägt normalerweise die rote Kappe, Dewey (Trick) die blaue und Louie (Track) die grüne.
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angeekelte Faszination, mit der er die Skandinavier an-
sieht. Es ist ihm anzumerken, dass der Anblick von be-
trunkenen Wikingern für ihn eine Premiere ist. Wir in
München sehen das jeden Herbst. Dies und noch viel
schrecklichere Dinge!
Das Oktoberfest hat sich nämlich in den vergangenen
Jahren stark verändert und ist von einer Art Gamsbart-
Woodstock zu etwas mutiert, was man auch aus dem
Privatfernsehen kennt: sauber angeprolte, also tätowier-
te Massenunterhaltung in tümelnden Klamotten, deren
Designer einmal für ihre Geschmacklosigkeiten in der
Hölle braten werden. Authentisch ist am Oktoberfest
eigentlich bloß noch der Kopfschmerz am nächsten
Tag. Mit einem Volksfest hat das Ganze jedenfalls kaum
mehr etwas zu tun, mehr mit einem Wir-sind-das-Volk-
Fest. Man kann es in etwa mit der Silvesterfeier am
Brandenburger Tor vergleichen. Bloß ist das Oktober-
fest auf albtraumhafte Weise schicker und dauert vor
allem viel länger. Marco ist das schnuppe. Er versteht
nicht, warum die Deutschen immer so an sich und an-
einander leiden, statt ihren Spaß zu
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