Antonio im Wunderland
Überraschung furihn.»
Jetzt wird mir einiges klar. Antonio brauchte für sei-
ne Reise einen Übersetzer und einen Scout. Benno hat
sich bereits disqualifiziert. Und nun soll ich hier den
Pfadfinder spielen. Na, super. Ich spüre, wie Verzweif-
lung in mir hochsteigt. Ich sitze hier in einem absolut
beschissenen Hotel mit einem Würstchen essenden Ir-
186
ren und meinem verspulten Schwiegervater, und gleich
machen wir uns auf die Suche nach jemandem, der un-
seren Besuch so dringend nötig hat wie ein Herpesbläs-
chen. Warum habe ich da mitgemacht? Warum sitze
ich jetzt nicht zu Hause auf meiner Couch? Warum lä-
chelt Antonio die ganze Zeit wie ein Weihnachtsengel?
Ich koche.
«Wenn du mir das alles vor der Reise gesagt hättest,
hätte ich das doch vorbereiten können. Ich hätte deinen
komischen Ponti …»
«Conti!»
«… Conti im Internet gesucht und einen Termin ver-
einbart. Man kann bei berühmten Leuten nicht einfach
auf der Matte stehen und sagen: Hallo, du kennst mich
sicher noch, wir haben uns knapp fünfzig Jahre nicht
gesehen. Bitte lass doch mal kurz alles stehen und lie-
gen und komm in deine Heimat, an die du dich wahr-
scheinlich nicht mehr erinnerst, und baue unsere Stadt
neu auf. Geld gibt’s übrigens nicht dafür. Wie soll das
gehen?»
«Bissen Respekte, wenni bitte darf», sagt Antonio. Er
ist gekränkt, aber das kann ich jetzt auch nicht ändern.
Ich komme gerade erst in Fahrt.
«Was für eine brillante Idee. Wenn wir uns da als
Abgesandte von Campobasso vorstellen, dann nehme
ich mal an, dass wir das tun, ohne dass irgendwer in
Campobasso davon weiß, richtig?»
Antonio wiegt den Kopf hin und her und drückt sich
vor einer Antwort. Also ist es so, wie ich sage.
«Das kann doch wohl nicht wahr sein.» Ich versuche,
187
meine Gedanken zu ordnen. Mehr zu mir selbst als zu
Antonio murmele ich weiter: «Du schleppst mich hier-
her, ohne auch nur den Funken einer Ahnung zu haben,
wie wir den Kerl überhaupt finden sollen.» Ich seufze.
«Dä steht doch sischer im Teilefonbuch», mampft
Benno dazwischen (Würstchen Nummer 23).
«Wollti grad sagen. Iste alle nickte so schlimm, wie
du denkst», fügt Antonio hinzu und lässt seine Gold-
zähne aufblitzen. Da könnte er sogar Recht haben. Aber
ich bleibe unversöhnlich. Diese Form der Spontaneität
geht mir auf die Nerven. Ich bin nun einmal nicht aus
seinem Holz. Niemand ist das. Jedenfalls niemand, den
ich kenne. Nun zieht Antonio einen Zettel aus der
Brusttasche seines Jeanshemdes. Er ist mehrfach zu-
sammengefaltet, und es dauert, bis Antonio ihn aufge-
blättert hat. Er reicht ihn mir. Auf dem Papierchen ste-
hen der Name und die Adresse von Pino Carbone, An-
tonios neuem Freund von der New Yorker Zollpolizei.
«Pino hatter schon gesagte, wenn wir ihn brauchen,
er ist da furuns.»
«Okay. Wir suchen ihn, deinen Mauro. Und wenn
wir ihn gefunden haben, versuchen wir ihn zu spre-
chen. Und wenn wir ihn nicht finden, dann machen wir
uns wenigstens eine schöne Woche in New York. Ein-
verstanden? Hand drauf?»
Ich lege meine Hand auf den Tisch, Benno lässt seine
knochige Hand auf meiner nieder, und Antonio patscht
seine beringte Rechte obendrauf. Was soll’s, denke ich.
«Et kütt, wie et kütt», sagt Benno. Wer kann das
schon bestreiten?
188
Nach dem Frühstück gehe ich auf mein Zimmer und
rüste mich für einen Stadtrundgang aus. Ich habe einen
Reiseführer dabei. Auf dem Titel ist das World Trade
Center abgebildet, deswegen war das Buch reduziert.
Hat nur die Hälfte gekostet. Ich stecke meine Kredit-
karten ein, Zigaretten, Feuer und meinen Notizblock
mit Stift. Unsere Suche wird an der Rezeption begin-
nen. Mit einem Blick ins Telefonbuch.
Dort finde ich 194 Contis, und ich sehe nur in Man-
hattan nach. Wer weiß, wie viele es davon noch in der
Bronx, in Queens, in Brooklyn und auf Staten Island
gibt. Hunderte, womöglich Tausende. So kommen wir
nicht weiter. Wir müssen jemanden finden, der Mauro
kennt. Dieser jemand heißt überall auf der Welt gleich:
Internet. Aber Antonio ist dagegen.
«Internet ist nickte gut.»
«Wieso? Wenn wir herausfinden wollen, wo dein
Mauro steckt, dann sollten wir dort anfangen zu su-
chen.»
«Nä, magi nickte.»
«Warum?» Was ist jetzt schon wieder los?
«Iste unsportelich.»
«Unsportlich? Das ist effizient.»
Darauf sieht er mich an, als wolle er mich aus seiner
Familie verstoßen. Was kann er dagegen haben,
Weitere Kostenlose Bücher