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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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schien. Indem er Tom folgte, war er an den Anfang seiner eigenen Leidensgeschichte zurückgekehrt; vielleicht, um den Kreis zu schließen.
    Mogens schüttelte den Gedanken ab und zwang sich, das Innere des winzigen Raumes einer zweiten, etwas genaueren Inspektion zu unterziehen. Er blieb so leer, wie er war – ein niedriges Rechteck von allerhöchstens drei auf fünf Schritten. Auf dem Boden gab es ein etwas kleineres, helleres Rechteck, wo vielleicht einmal ein steinerner Sarkophag gestanden hatte, vielleicht auch nur ein Podest für einen hölzernen Sarg. Die Wände waren fleckig, was die Reste längst verblichener Malereien sein mochten, vielleicht auch nur Schmutz. Dennoch war etwas hier. Mogens konnte es spüren. Es war so intensiv, dass Mogens beinahe meinte, es mit Händen greifen zu können. Die Gespenster aus seiner Vergangenheit, die Gestalt anzunehmen versuchten.
    »Hier?«, fragte er.
    Tom deutete mit einer Kopfbewegung auf das helle Rechteck am Boden. Ohne dass es ihnen selbst bewusst gewesenwäre, hatten sie diesen unheimlichen Schatten aus der Vergangenheit gemieden und sich so dicht an die grauen Sandsteinwände gedrängt, dass ihre Füße außerhalb davon blieben. »Wir haben den Sarg hierhin gestellt«, sagte er. »Eigentlich war es gar kein richtiger Sarg, weil meine Eltern kein Geld dafür hatten, nur eine einfache Holzkiste. Aber wir hatten sie mit Steinen abgedeckt, und meine Mutter hatte einen Kranz aus Tannengrün geflochten.«
    Seine Stimme drohte zu versagen, und Mogens spürte erneut, wie gefährlich nahe er daran war, die Kontrolle zu verlieren. Mogens erinnerte sich mit Nachdruck daran, dass er nicht der Einzige war, den dieser Ort mit etwas konfrontierte, das besser ungeweckt geblieben wäre.
    »Und du hast sie hier gesehen?«, fragte er rasch. »Diese … Kreaturen?«
    »Am Anfang hab ich hier auf sie gewartet«, antwortete Tom. »Hier haben sie meinen Vater umgebracht. Sheriff Wilson hat sein Gewehr hier gefunden, und es war alles voller Blut. Ich hab gehofft, dass sie zurückkommen. Am Anfang hab ich sogar hier geschlafen. Mit einem Gewehr.«
    »Aber sie sind nicht gekommen.«
    »Ich glaube, sie wissen, dass wir hier sind«, murmelte Tom. »Sie beobachten uns. Sie wissen alles über uns – viel mehr als wir über sie.«
    Mogens überwand seine instinktive Scheu und trat über das Rechteck am Boden hinweg, um die Wand, vor der Tom stehen geblieben war, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Etwas daran hatte seine Aufmerksamkeit erregt, ohne dass er im ersten Moment sagen konnte, was. Vielleicht eine bestimmte Anordnung der Schmutz- und Wasserflecken, eine Regelmäßigkeit, die sich dem bewusst suchenden Auge entzog, aber dennoch da war.
    »Sie können sich die Mühe sparen, Professor«, sagte Tom. »Da ist nichts.«
    Mogens blickte fragend, und Tom fuhr mit einem bekräftigenden Nicken fort: »Doktor Graves hat alles genau abgesucht. Er sagt, sie brauchen keine Geheimgänge oder -türen,um zu kommen oder zu gehen. Die Erde hält sie nicht auf, weil sie ihre ureigensten Geschöpfe sind.«
    Mogens blickte zweifelnd, aber er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass dieser unscheinbare Junge die letzten fünf Jahre seines Lebens zusammen mit Graves verbracht hatte und vermutlich hundertmal mehr über diese unheimlichen Wesen wusste als er.
    »Und so hast du auch Graves kennen gelernt«, vermutete er. »Ich nehme an, er hat von der Geschichte deiner Eltern gehört und ist deswegen hierher gekommen.«
    Tom nickte. Ganz tief in seinen Augen glomm wieder ein Funke von Furcht auf, und Mogens sprach rasch und in bewusst leichterem Ton weiter. »Du musst mir unbedingt erzählen, was du auf deinen Reisen rausgefunden hast. Doktor Graves ist ein wenig knauserig, wenn es um Informationen geht.«
    »Doktor Graves hat mir verboten, über unsere Reisen zu sprechen«, antwortete Tom. »Er will es Ihnen selbst sagen.«
    »Du meinst: das, was er mir sagen will«, vermutete Mogens. Tom sah ihn einen Herzschlag lang hoffnungslos verwirrt an, aber dann lachte er.
    »Ja. So ungefähr.« Er deutete mit seiner Laterne zur Tür. »Können wir jetzt wieder gehen? Ich fühl mich nicht sehr wohl hier. Und Doktor Graves ist bestimmt schon ungeduldig.«

Graves war nicht ungeduldig.
Er schäumte vor Wut.
Sie waren kaum zurück im Lager, als er Tom und ihn auch schon in scharfem Ton in seine Blockhütte befahl, und Mogens hatte die Tür noch nicht vollends hinter sich geschlossen, da begann er Tom

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