Anubis - Roman
muss ich mich doch sehr wundern«, versetzte Graves. »Oder gehört es zu deinen schlechten Angewohnheiten, die Privatsachen anderer zu durchwühlen?«
Im ersten Moment verstand Mogens nicht einmal genau, wovon er überhaupt sprach. Dann sah er verblüfft auf den aufgeschlagenen Band in seinen Händen und schließlich wieder in Graves’ Gesicht. »Aber es ist doch nur ein Buch«, sagte er verwirrt.
»Ich schätze es trotzdem nicht, wenn jemand in meinen Sachen herumstöbert«, antwortete Graves. »Schon lange nicht, wenn ich nicht dabei bin.« Er eilte um den Schreibtisch herum, nahm Mogens das Buch mit einer rüden Bewegung aus den Händen und stellte es an seinen Platz zurück; wenigstens versuchte er es. Aber er war so zornig und aufgebracht, dass er sich dabei ungeschickt genug anstellte, den Einband zu knicken. Schließlich warf er das Buch mit einer ärgerlichen Geste auf den Schreibtisch und funkelte Mogens an.
»Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht?«, fauchte er.
Mogens prallte vor dem lodernden Zorn zurück, den er in Graves’ Augen las. Er hatte erwartet, dass Graves mit einem gewissen Unmut auf dieses unerlaubte Eindringen in seine Privatsphäre reagieren würde – aber was er in Graves’ Augen las, das war kein Ärger, sondern blanke Wut; mehr noch, er spürte ganz deutlich, dass Graves sich nur noch mühsam beherrschen konnte, sich nicht auf ihn zu stürzen und ihn durchzuschütteln, wenn nicht gar Schlimmeres.
»Ich … ich wollte nur mit dir reden, Jonathan«, sagte er verwirrt. »Ich versichere dir … dass …«
»Steck dir deine Versicherungen irgendwohin!«, unterbrach ihn Graves. Für einen Moment verwandelte sich das Lodern in seinem Blick in blanke Mordlust, und Mogensprallte erneut um noch zwei weitere stolpernde Schritte zurück.
Vielleicht war es diese Reaktion, die Graves wieder zur Vernunft brachte. Einen Atemzug lang starrte er Mogens noch hasserfüllt an, aber dann machte die mörderische Wut einem Ausdruck ebenso großer Betroffenheit Platz. Verwirrt trat er von einem Fuß auf den anderen, streckte die Hand im Mogens’ Richtung aus und ließ den Arm dann fast hastig wieder sinken, als Mogens abermals zusammenfuhr und vorsichtshalber noch einen weiteren Schritt Distanz zwischen sie brachte.
»Ich …« Graves fuhr sich fahrig mit dem Handrücken seines schwarzen Handschuhs über die Lippen. Er musste zwei-, oder dreimal schlucken, um überhaupt weitersprechen zu können. »Es tut mir Leid, Mogens«, sagte er schließlich. »Ich … ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Ich habe mich aufgeführt wie ein Idiot. Bitte verzeih mir.«
»Schon gut«, sagte Mogens. Es war nicht einmal gelogen. Er war Graves nicht einmal wirklich böse. Dazu war er viel zu verwirrt.
»Nein, es ist nicht gut«, widersprach Graves nervös. »Ich weiß auch nicht, was …« Er brach ab, rettete sich in ein beinahe hilflos wirkendes Kopfschütteln und drehte sich schließlich mit einem Ruck weg. Einige Sekunden lang beschäftigte er sich damit, das Buch vom Schreibtisch zu nehmen und mit jetzt schon fast übertrieben langsamen, präzisen Bewegungen an seinen Platz zurückzustellen.
»Es tut mir Leid«, sagte er, nun wieder ruhiger, aber ohne auch nur in Mogens’ Richtung zu sehen. »Ich glaube, wir sind alle ein bisschen nervös nach gestern Nacht. Nimmst du meine Entschuldigung an?«
»Selbstverständlich«, antwortete Mogens. »Und so ganz Unrecht hattest du ja auch nicht. Ich hätte nicht ungefragt hier eindringen sollen.«
Graves wandte sich betont langsam zu ihm um. Er hatte sich nun wieder vollkommen in der Gewalt. »Das stimmt«, sagte er. »Das hättest du wirklich nicht.« Er war tatsächlich wieder ganz der alte Jonathan Graves.
»Was tust du überhaupt hier?«, fragte er. »Wolltest du dich umbringen, alter Junge? Du gehörst ins Bett! Von Rechts wegen gehörtest du in eine Klinik, zumindest aber in die Obhut eines guten Arztes.«
»Und warum bin ich es nicht?«, fragte Mogens.
»Weil uns dafür keine Zeit bleibt, fürchte ich«, antwortete Graves ernst. »Heute ist der letzte Tag, Mogens. In wenigen Stunden geht die Sonne unter. Du solltest die Zeit wirklich nutzen, um noch ein wenig Kraft zu schöpfen.«
Es dauerte einen Moment, bis Mogens überhaupt begriff, wovon Graves sprach. Er konnte sogar selbst spüren, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich. »Du willst noch einmal dort hinunter?«, murmelte er ungläubig.
»Selbstverständlich«, antwortete
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