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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nicht nur um mehr als eine Handspanne, Mogens vermutete, dass er nicht viel weniger wog als Tom selbst.
    »Was, um alles in der Welt, schleppst du da mit, Thomas?«, fragte sie. »Hast du vor, zu einer Expedition zum Nordpol aufzubrechen?«
    Tom grinste. »Was man eben so braucht, Miss Preussler. Kleider zum Wechseln, Lebensmittel für eine Woche, Probiergläser und Decken, Doktor Graves’ fotografische Ausrüstung, Munition und Schlafsäcke, Petroleum für die Lampen …«
    »Ein Klavier?«, fragte Miss Preussler lächelnd.
    Tom machte ein betroffenes Gesicht. »Ich wusste, dass ich was vergessen hab«, sagte er. »Soll ich rasch laufen und es holen?«
    »Hör mit den Albernheiten auf, Tom«, sagte Graves streng. Er klappte seine Uhr auf. »Es wird Zeit.« Er wandte sich dem Schacht zu, hielt dann noch einmal inne und reichte Tom das Glas mit der einzelnen Schnecke. »Hier, nimm das.«

Die Stille war allumfassend. Was Mogens vorhin über die Dunkelheit gedacht hatte, das galt hier unten ebenso für jegliche Art von Geräusch. So wie Dunkelheit der Urzustand der Dinge war, bevor sie waren, hatte es Stille gegeben, lange bevor das erste Geräusch durch das Universum hallte, und ebenso wie die Dunkelheit würde sie wieder herrschen, wenn alles vorüber und das kurze Zwischenspiel längst vergessen war, das die Menschen Ewigkeit nannten.
    Dabei war die Stille fast noch schlimmer als die Dunkelheit. Das Dunkel konnten sie mit den Strahlen ihrer Lampen vertreiben, die lautlos wie die tastende Hand eines Blinden vor ihnen hereilten, die Stille jedoch schien sich beharrlich zu weigern, den Lauten zu weichen, die sie selbst verursachten.
    Vielleicht, dachte Mogens schaudernd, weil es eben nicht nur Stille war, sondern etwas von ganz anderer, bedrohlicher Qualität. Die Dunkelheit war immer hier unten gewesen, bevor diese Räume und Gänge entstanden waren; und auch die allermeiste Zeit danach. Die Stille aber war neu, und sie bedeutete mehr, als Mogens zuzugeben bereit war. Selbst so tief unter der Erde war es niemals ganz still. Man hätte das Knacken des Felsens hören müssen, das Rascheln winziger Lebewesen, die es selbst hier unten gab, das Geräusch der Luft, die durch das Labyrinth aus Gängen und natürlich entstandenen Hohlräumen strich, ja, sogar die bewusst kaum wahrnehmbaren und dennoch stets präsenten Atemzüge der Erde selbst, deren Lebenszyklus sich vielleicht gar nicht einmal so sehr von dem des Menschen unterschied, nur dass er unendlich viel langsamer war.
    Nichts von alledem war zu spüren. Es war nicht einfach nur still, weil hier unten nichts mehr war, was ein Geräusch verursacht hätte. Das Gegenteil war der Fall. Irgendetwas war hier. Das Schweigen hatte Substanz gewonnen und war zu etwas geworden, das einfach nichts anderes in seiner Nähe mehr zuließ.
    Der Weg kam ihm weiter vor als jemals zuvor. Er hatte sich niemals die Mühe gemacht, die Schritte vom Eingang hierherin die erste, größte Kammer zu zählen, und doch war er fast sicher, dass sie nun mindestens die doppelte Anzahl zurückgelegt hatten wie jemals zuvor. Miss Preussler war so dicht neben ihn getreten, dass der grobe Stoff ihres Kleides manchmal seine Schulter streifte, ein ganz normaler menschlicher Reflex in dieser lebensfeindlichen und stillen Umgebung, und dennoch fragte sich Mogens instinktiv, ob sie wohl auch nur ahnte, wie viel Kraft sie ihm allein durch ihre bloße Nähe gab – und ob es umgekehrt wohl auch so war.
    Graves und Tom waren bisher etliche Schritte vorausgeeilt, nun aber blieben sie stehen, sodass der Abstand zwischen ihnen wieder zusammenschmolz. Graves ließ den Lichtstrahl seiner Laterne langsam über die Felswände gleiten, zögernd und fast unsicher, als suche er nach etwas, von dem er zwar genau wusste, dass es da war, während er zugleich aber auch befürchtete, es zu übersehen. Tom tat im Großen und Ganzen dasselbe, nur dass er das Repetiergewehr erhoben und auch bereits durchgeladen hatte – Mogens erinnerte sich im Nachhinein an das scharfe metallische Klicken, mit dem die Patrone in die Kammer geglitten war, und er war ziemlich sicher, dass es nicht das mindeste Echo verursacht hatte – und mit seinem Lauf dem zitternden Lichtkreis auf der Wand folgte.
    »Was suchst du?«, fragte er, nachdem Miss Preussler und er neben den beiden angekommen waren.
    Graves machte eine unwillige Geste, still zu sein, und ließ seinen Lichtstrahl weiter und mit enervierender Langsamkeit über die Wände

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