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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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vielleicht seit Jahrtausenden im Wasser dieses Kanals lag. Es war nicht ganz so, wie er es in Erinnerung hatte. Gewisse Details waren anders – das Boot war insgesamt größer, als man allgemein angenommen und bei den gängigen Rekonstruktionen zugrunde gelegt hatte, und vieles wirkte insgesamt eleganter, anderes dafür aber wieder auch grobschlächtiger, fast, als wäre es nicht wirklich für menschliche Hände gedacht. Und etwas fehlte. Obwohl es geradezu überdeutlich war, dauerte es ein paar Sekunden, bis Mogens es wirklich sah.
    »Die Ruderer«, murmelte er.
    Graves sah ihn verständnislos an.
    »Eigentlich müsste in Bug und Heck jeweils eine lebensgroße Anubis-Statue stehen«, erklärte Mogens. »Eine amRuder und die zweite als Navigator im Bug. Aber vielleicht wird das Boot ja nicht von Statuen begleitet, sondern …« Sondern von ihren Vorbildern selbst, wollte er sagen, aber er ließ das Ende des Satzes unausgesprochen.
    Es gelang ihm endlich, seine Starre zu überwinden. Er ging an Graves vorbei und blieb mit klopfendem Herzen am Ufer des kleinen Kanals stehen, auf dem die Barke schwamm. Das Gefühl der Ehrfurcht blieb, aber er spürte auch zugleich immer deutlicher, dass es auch mit diesem Boot dasselbe war wie mit den Wandmalereien und Schriftzeichen oben. Es sah aus wie etwas, von dem er zu wissen glaubte, was es war, ohne es indes wirklich zu sein.
    Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Graves in diesem Moment: »Vielleicht ist auch das hier das eigentliche Original, nach dessen Vorbild alle anderen Kopien erschaffen wurden.«
    »Das sollten wir uns vielleicht besser nicht wünschen«, sagte Tom.
    Mogens fuhr alarmiert herum. Tom war nur wenige Schritte neben ihm an den Kanal herangetreten und hatte sich nach vorne gebeugt. Er betrachtete konzentriert den Sarkophag. Der Ausdruck auf seinem Gesicht gefiel Mogens ganz und gar nicht.
    »Wie meinst du das?«, fragte er. »Was soll …?«
    Er brach mitten im Satz ab, als er zu Tom hinging und sein Blick ebenfalls über die mattschwarze Oberfläche des Sarkophags strich. Tom musste seine Frage nicht mehr beantworten. Aus dem noch immer anhaltenden Gefühl von Ehrfurcht in Mogens wurde … etwas anderes.
    Das Bild, das in die Oberfläche des Sarkophages eingraviert war, zeigte die liegende Gestalt eines hoch gewachsenen, muskulösen Mannes, der die typische Kleidung eines ägyptischen Pharao oder zumindest hochrangigen Edelmannes trug: einen knielangen, gestreiften Rock, bis über die Waden hinauf geschnürte Sandalen und einen prachtvollen, mit Gold verzierten Gürtel. Die Arme waren über der Brust gekreuzt, und in den Händen hielt er eine Art Zepter, das aberkeine Ähnlichkeit mit irgendetwas aufwies, was Mogens jemals zu Gesicht bekommen hatte.
    Sein Kopf war ein purer Albtraum.
    Wenn die Abbildung tatsächlich den Kopf des Wesens zeigte, das sich im Innern des Sarkophages befand, und nicht eine bizarre Maske, dann war es kein Geschöpf, das jemals auf dieser Welt gelebt hatte.
    Er war sehr viel größer als der eines Menschen und wuchs ansatzlos und ohne sichtbaren Hals direkt aus den Schultern heraus. Es gab kein wirkliches Gesicht, sondern nur eine schuppige Fläche mit mehreren dünnen Schlitzen, die Mund und Nase darstellen mochten, dafür aber umso größere, starre Augen. Etwas wie ein kurzer, aber ungemein kräftiger Papageienschnabel nahm dem grässlichen Anblick auch noch die allerletzte Menschlichkeit. Das Geschöpf hatte keine Haare, sondern nur eine Art Flossenkamm, der in der Mitte des Schädels begann und in seinem Nacken verschwand, und etwas wie einen um den gesamten Hals herumlaufenden zotteligen Bart, der allerdings nicht aus Haaren zu bestehen schien, sondern aus einem Gewirr fingerlanger, fleischiger Tentakel.
    »Was … ist denn … das?«, krächzte Graves, der ihm gefolgt war. Seine Stimme klang belegt.
    Mogens antwortete nicht, sondern riss seinen Blick mit einiger Mühe von dem schrecklichen Gesicht los und betrachtete noch einmal die Hände, die das sonderbare Zepter hielten. Er sah jetzt, dass sie nur vier Finger hatten statt fünf und zusätzliche, schuppige Schwimmhäute dazwischen. Es gab noch mehr Unterschiede zwischen der Physiologie dieses Geschöpfes und der eines Menschen, aber etwas in Mogens schreckte davor zurück, allzu genau hinzusehen.
    »Wer weiß«, sagte er mit leiser, belegter Stimme, die sich vergebens um einen sarkastischen Ton bemühte. »Vielleicht auch das Original, nach dem die alten

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