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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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gefroren und knisterten bei jeder Bewegung. Er hoffte, dass Miss Preussler und Tom, die hinter ihm kamen, klug genug waren, die Luft anzuhalten, um sich nicht die Lungen zu verätzen.
    Wie es aussah, hatte Graves Recht gehabt. Waren sie bisher durch eine unterirdische Landschaft gegangen, die mehr an einen Gestalt gewordenen Albtraum erinnerte, so lag ein gutes Stück unter ihnen nun die Stadt, deren Plan Graves vorhin so aufmerksam studiert hatte, und Mogens erstarrte bei ihrem Anblick vor Ehrfurcht.
    Auch wenn dieser allererste Eindruck nur wenige Sekunden anhielt, so hatte er im ersten Moment doch das Gefühl, einen Schritt in eine Jahrtausende zurückliegende Vergangenheit getan zu haben. Und einen Schritt hinein in seinen größten Traum.
    Unter ihnen lag das alte Theben, Karnak in seiner Blütezeit, Achenaton, wie es sich seine Schöpfer erträumt, aber niemals in solcher Pracht vollendet hatten – alles gemeinsam und noch viel mehr: eine Stadt von einer Majestät und Schönheit, wie sie der Sand der ägyptischen Wüste niemals hatte begraben können. Da waren Tempel und prachtvolle, von endlosen Reihen überlebensgroßer steinerner Statuen gesäumte Alleen, reich verzierte Wohn- und Zeremoniengebäude, und im Herzen dieser gewaltigen, sich in jede Richtung mindestens eine halbe Meile erstreckende Stadt thronte eine gigantische, ebenmäßige Pyramide mit einer golden schimmernden Spitze. Es war ein Anblick, der ihm den Atem raubte, seinen Pulsschlag zum Stocken brachte und ihn mit einem berauschenden, nie gekannten Glücksgefühl erfüllte.
    Und zugleich war er absolut grauenerregend.
    Es vergingen nur wenige Sekunden, bevor der Sturm der Euphorie, der in Mogens’ Brust tobte, die ersten Risse bekam. Gierig, fast schon verzweifelt sog er jedes einzelne Bild in sich auf, konnte gar nicht so schnell von einem Wunder zum nächsten blicken, wie er es wollte, wie ein Verhungernder, der sich von einem Atemzug auf den anderen an der überreich gedeckten Tafel eines Königs wiederfindet und sich im ersten Moment einfach nur lachend und irre kreischend inmitten all der aufgefahrenen Köstlichkeiten wälzt, gar nicht fähig, seinen Hunger zu stillen.
    Aber einige dieser Speisen waren vergiftet.
    Mogens hätte im ersten Moment nicht einmal sagen können, was es war. Etwas wie ein Schatten schien über all dieser Pracht zu liegen, wie ein ganz leiser Verwesungsgeruch, den man vergeblich mit den teuersten Parfums und Essenzen zu überdecken versuchte. Hier war ein Schatten, wo keiner sein sollte, da eine Linie, die sich in eine Richtung krümmte, die zu erkennen menschliche Sinne nicht geschaffen waren, dort eine Verzierung, die zu einer gierig ausgestreckten Krallewurde. Es war, als wäre nicht unbedingt die Welt, aber die Realität dort vorne aus den Fugen geraten und begänne zu bröckeln, wie ein unglaublich altes Gemälde, durch dessen prachtvolle Farben allmählich ein viel älteres, düstereres Bild schimmerte, das mit den Farben des Wahnsinns gemalt war.
    Mogens registrierte kaum, wie Tom und nur einen Augenblick später auch Miss Preussler neben ihnen erschienen. Tom sagte kein Wort, sondern erstarrte einfach zur Salzsäule, während Miss Preussler ein sonderbares kleines Geräusch ausstieß, dass Mogens nicht genau deuten konnte, und die Hand vor den Mund schlug.
    »Und du bist ganz sicher, dass du dorthin willst, Jonathan?«, fragte er.
    »Sicher?« Graves lachte schrill. »Hast du den Verstand verloren, Mogens? Keine Macht der Welt könnte mich jetzt noch daran hindern!«
    Vielleicht keine Macht dieser Welt, dachte Mogens. Er sagte nichts, und wozu auch? Ein einziger Blick in Graves’ Gesicht machte ihm klar, wie vollkommen sinnlos jedes weitere Wort gewesen wäre.
    Graves drehte sich, ein ebenso glückliches wie irrsinniges Lächeln auf dem Gesicht, zu Miss Preussler um. »Ist das der Ort, an dem Sie waren? Wohin hat man Sie gebracht?«
    »Ich … bin nicht ganz sicher«, antwortete sie – aber auch jetzt wieder an Mogens gewandt, nicht an ihn. »Es war …« Sie suchte einen Herzschlag lang vergeblich nach Worten und fand schließlich in einem hilflosen Nicken Zuflucht. »Ich war … es sah anders aus, aber ich war dort.«
    »Und wo genau?«, fragte Mogens. »Die Gefangenen, von denen Sie gesprochen haben … in welchem Gebäude sind sie untergebracht?«
    »Ich … ich bin nicht ganz sicher«, wiederholte sie zögernd. »Aber ich erkenne es bestimmt wieder, wenn ich es sehe.« Sie fuhr sich nervös

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