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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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gelang es Mogens, sich vom Anblick der unheimlichen Standbilder loszureißen. »Sicher«, sagte er nervös. »Ich war nur …« Er suchte einen Moment nach Worten und rettete sich schließlich in eine Antwort, die der Wahrheit so nahe kam, wie er es gerade noch wagte. »Der Anblick dieser … Dinger hat mich wohl doch mehr erschreckt, als ich zugeben möchte«, sagte er mit einer entsprechenden Geste auf die Statuen. Irrte er sich, oder hatte die eine den Kopf um ein kleines Stückchen weiter nach links gedreht? Und hatte sich die mit unheimlichen Schwimmhäuten versehene Hand der anderen nicht um eine Winzigkeit gehoben, wie um sich zum Zupacken bereitzumachen?
    Miss Preussler sah offensichtlich nichts dergleichen, denn auch ihr Blick ging noch einmal und sehr aufmerksam über die beiden steinernen Kolosse, aber ihre einzige Reaktion war ein leicht spöttisches Lächeln in seine Richtung. »Sollte es nicht eigentlich genau andersherum sein, Professor?«, fragte sie spöttisch. »Sollte ich nicht hysterisch reagieren und Sie versuchen, mich zu beruhigen?«
    »Das ist alles geplant, Miss Preussler«, antwortete er mit einem nervösen Lächeln. »Indem ich Ihnen das Gefühl gebe, mich beruhigen zu müssen, beruhige ich in Wahrheit Sie. So haben Sie weniger Gelegenheit, über Ihre eigene Furcht nachzudenken, wissen Sie?«
    »Raffiniert«, antwortete sie. »Muss man studiert haben, um sich einen solchen Unsinn auszudenken?«
    »Mindestens zehn Jahre«, bestätigte Mogens.
    Sie lachten, und zu seiner Überraschung musste Mogens gestehen, dass es durchaus funktionierte, denn das Lachen nahm dem Moment wenigstens einen Teil seiner atemabschnürenden Beklemmung. Miss Preussler stieß die Tür ohne viel Federlesens weit genug auf, um als Erste hindurchtreten zu können, und sie setzten ihren Weg fort.
    Auf dem ersten Stück unterschied sich der Gang auf der anderen Seite nicht von der großen Halle, durch die sie gekommen waren, denn er hatte dieselbe klare Linienführung und war in ebenso schlechtem Zustand. Doch diese Ähnlichkeit nahm mit jedem Schritt ab, den sie weiter vordrangen. Trotz der unübersehbaren Anzeichen allgegenwärtigen Verfalls war die Halle zugleich fast klinisch sauber gewesen. Hier stießen sie auf immer mehr Trümmer und Schutt. Die Luft war mit Staub geschwängert, und es stank.
    Nach nur einem knappen Dutzend Schritten mussten sie mühsam über wahre Trümmerberge hinwegsteigen, und selbst das starke Licht ihrer beiden Lampen weigerte sich, der Dunkelheit, die sie aus allen Richtungen zu belagern schien, mehr als vage Umrisse zu entlocken. Dennoch wurden Miss Preusslers Schritte eher schneller, und obwohl sie sich Mühe gab, es nicht zu offensichtlich werden zu lassen, spürte Mogens deutlich, dass sie nur aus Rücksicht auf ihn nicht noch schneller ging.
    Sie erreichten die Treppe, von der sie gesprochen hatte, bevor die Situation vollends peinlich werden konnte, und Miss Preussler blieb stehen und versuchte mit ihrer Lampe in die Tiefe zu leuchten. Man konnte nicht viel erkennen, aber der üble Geruch kam eindeutig von dort unten, und das kalteweiße Licht riss zumindest die ersten drei der vier Stufen aus der Dunkelheit. Sie unterschieden sich so sehr von der strengen Geometrie des Gebäudes, wie es nur ging, und wirkten, als hätte sie jemand mit bloßen Händen aus dem Fels herausgebrochen.
    »Lassen Sie mich vorgehen«, sagte er – was das genaue Gegenteil dessen war, was er wirklich wollte.
    Miss Preussler schüttelte auch nur den Kopf. »Diese Treppe ist sehr steil, mein Junge«, sagte sie spöttisch. »Wenn ich das Gleichgewicht verliere und gegen Sie falle, werden Sie mich kaum halten können, oder?«
    Sie gab Mogens gar keine Gelegenheit, noch einmal den Gentleman zu spielen, sondern setzte sich unverzüglich in Bewegung und verschwand schnaubend in der Tiefe; scheinbar mühsam und übervorsichtig, aber dennoch so schnell, dass Mogens sich sputen musste, um nicht den Anschluss zu verlieren.
    Wie sich zeigte, hatte sie eher unter- als übertrieben. Die Treppe war geradezu halsbrecherisch, und sie schien kein Ende zu nehmen. Mogens schätzte, dass sie sich mindestens zehn oder zwölf Meter tiefer unter der Erde befanden, als die ungleichen Stufen unter seinen Füßen endlich wieder halbwegs ebenem Boden wichen. Er blieb stehen, schloss die Augen und atmete gezwungen tief ein und aus, während er darauf wartete, dass das Schwindelgefühl endlich verging. Eine Treppe hinunterzugehen, die

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