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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Gegenwehr des Mädchens wurde eher noch heftiger; sie krallte sich jetzt mit beiden Händen in Miss Preusslers Kleid und versuchte gleichzeitig, sich hinter ihr zusammenzukauern, mit dem Ergebnis, dass Miss Preussler nun tatsächlich um ihre eigene Balance ringen musste und zu stürzen drohte. Ganz automatisch trat Mogens auf sie zu und streckte die Arme aus, und das Mädchen stieß einen spitzen Schrei aus und krallte sich noch heftiger an sie.
    »Professor, gehen Sie weg!«, keuchte Miss Preussler. »Rasch!«
    Mogens war viel zu perplex, als dass er irgendetwas andereshätte tun können. Verwirrt wich er zwei oder drei Schritte zurück, und das Mädchen beruhigte sich tatsächlich. Zwar klammerte es sich noch immer mit solcher Kraft an Miss Preussler fest, dass es ihr fast den Atem nahm, hörte aber zumindest auf zu schreien.
    Dennoch wich er vorsichtshalber noch einen weiteren Schritt zurück und ließ die Arme sinken. Und tatsächlich beruhigte sich das Mädchen zusehends; vor allem, als Miss Preussler sich endlich irgendwie frei gemacht und sie ihrerseits in die Arme geschlossen hatte.
    »Bleiben Sie zurück, Professor«, sagte Miss Preussler, ohne sich zu ihm herumzudrehen. Stattdessen begann sie dem Mädchen beruhigend mit der Hand über das Haar zu streichen, während sie es mit dem anderen Arm fest an sich drückte. Das Mädchen erwiderte ihre Umarmung kaum weniger heftig als zuvor, aber sie ließ Mogens dennoch keine Sekunde lang aus den Augen. Möglicherweise, dachte er beunruhigt, war Miss Preusslers Bemerkung ja nicht ganz so scherzhaft gemeint gewesen, wie er sich eingebildet hatte.
    »Ich glaube, wir bekommen ein Problem«, sagte er vorsichtig.
    Miss Preussler reagierte genau so, wie er befürchtet hatte: Sie verzichtete zwar darauf, etwas zu sagen, aber der Zorn sprühende Blick, den sie ihm über die Schulter hinweg zuwarf, war beredt genug.
    Mogens geduldete sich – oder versuchte es wenigstens. Und wahrscheinlich tat er Miss Preussler sogar unrecht, denn die Schnelligkeit, mit der es ihr gelang, das vollkommen verängstigte Mädchen wieder zu beruhigen, war schon fast unheimlich. Vermutlich vergingen wenig mehr als zwei oder drei Minuten, bevor sie sich wieder zu ihm herumdrehte und ihm mit einem Nicken zu verstehen gab, dass sie weitergehen konnten, aber ihm kam es vor wie Stunden.
    »Sagte ich schon, dass wir ein Problem bekommen?«, fragte Mogens.
    »Ja«, antwortete Miss Preussler kühl. Mogens wartete einen Moment lang vergebens darauf, dass sie noch etwas hinzufügte, und drehte sich schließlich mit einem leicht trotzig wirkenden Schulterzucken herum.
    »Sagen Sie ruhig Bescheid, wenn ich zu dicht vor Ihnen hergehe«, knurrte er. Das war albern, und er wusste es auch selbst, aber er hatte es einfach sagen müssen. Miss Preussler war auch klug genug, nicht direkt darauf zu antworten, doch Mogens entging keineswegs, dass sie erst losging, als er sich gute vier oder fünf Schritte von ihr und dem Mädchen entfernt hatte. Ihm lag eine weitere spitze Bemerkung auf der Zunge, aber er schluckte sie herunter.
    Sie verließen die Kammer durch den einzigen anderen Ausgang, den es gab, und waren noch keine zehn Schritte weitergegangen, als sie an die erste Abzweigung gelangten. Spätestens hier, dachte Mogens, hätte er ohnehin Halt gemacht, um auf Miss Preussler zu warten, oder wäre umgekehrt. Unschlüssig blieb er stehen und blickte zuerst nach rechts, dann nach links. In beiden Richtungen setzte sich der bemalte Korridor ungefähr gleich weit fort, bevor er von einem weiteren Durchgang voll schwebendem grünem Licht verschlungen wurde.
    »Und jetzt?«, fragte er, während er sich zu Miss Preussler und dem Mädchen herumdrehte. »Werfen wir eine Münze, oder haben Sie eine Lieblingsrichtung?«
    Auch Miss Preussler war stehen geblieben. Sie führte das Mädchen jetzt wieder neben sich, hatte ihm aber schützend die Arme um die Schultern gelegt, und Mogens wusste im allerersten Moment nicht, was er von diesem Anblick halten sollte. Es war schwer zu sagen, was intensiver war: die Furcht, die wieder stärker in den dunklen Augen der Frau aufflammte, als sie sah, dass er stehen geblieben war und sich zu ihnen herumgedreht hatte, oder der Ausdruck von grimmiger Entschlossenheit auf Miss Preusslers Gesicht, ihre neue Adoptivtochter gegen jedwede Gefahr zu verteidigen – und auch gegen ihn. Vielleicht sogar insbesondere gegen ihn.
    Er wusste auch nicht, was ihn mehr erschreckte.
    Da er keine Antwort

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