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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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mit einem einzigen Satz wieder neben dem Mädchen. Ihre Fingernägel zielten nach seinen Augen, aber die schiere Todesangst gab Mogens nicht nur fast übermenschliche Kräfte, sondern auch eine ebensolche Schnelligkeit. Beinah mühelospackte er ihr Handgelenk, wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte los, das Mädchen einfach hinter sich herzerrend. Aus den Augenwinkeln sah er, wie auch Miss Preussler endlich die Lähmung abschüttelte und sich ihnen anschloss, aber er konnte nur beten, dass sie sich auch diesmal mit der gleichen Behändigkeit und demselben Tempo bewegte wie vorhin.
    Halb blind stürmte er in die Richtung los, in der er den Ausgang vermutete. Aus dem sachten Erschauern des Bodens war längst ein rüttelndes Stoßen geworden, dem der Rest der Halle die Antwort nicht lange schuldig blieb. Immer mehr Steine und Trümmer regneten von der Decke, und Mogens’ Magen zog sich vor Entsetzen zu einem harten Ball zusammen, als er aus den Augenwinkeln zu sehen glaubte, wie sich auch einer der letzten übrig gebliebenen Stützpfeiler langsam zu neigen begann, wie ein Gewichtheber, der aller verzweifelten Mühe zum Trotz ganz allmählich in die Knie bricht. Verzweifelt versuchte er, noch schneller zu laufen. Vorhin, als er dem Mädchen und Miss Preussler gefolgt war, war ihm der Weg weit vorgekommen, jetzt schien er kein Ende mehr zu nehmen. Vielleicht rannten sie ja in die falsche Richtung, tiefer in den zusammenbrechenden Saal hinein statt dem rettenden Ausgang entgegen. Die Lampe war keine Hilfe. Ihr Lichtschein tanzte so wild hin und her wie das Achterlicht eines Schiffchens, das unversehens in den urgewaltigsten aller Stürme geraten war, und was er in dem irrwitzigen Kaleidoskop aus aufblitzendem Weiß und nachtschwarzen Schatten sah, das verwirrte ihn mehr, statt ihm den Weg zu weisen. Steine regneten rings um sie herum zu Boden. Hinter ihnen erscholl ein ungeheures dröhnendes Poltern, als wäre eine ganze Wand der Halle zusammengebrochen, und die Schwärze über seinem Kopf kam näher. Dann stieß sein Fuß plötzlich ins Leere. Mogens versuchte instinktiv, sich zurückzuwerfen, um auf diese Weise vielleicht sein Gleichgewicht doch noch wiederzuerlangen, aber es war zu spät.
    Er fiel, ließ das Handgelenk des Mädchens los und prallte so hart auf Schultern und Hinterkopf, dass ihm die Luft ausden Lungen gepresst wurde. Die Lampe entglitt seinen Fingern, schlug einen fast zeitlupenhaft anmutenden, doppelten Salto in der Luft und zerbrach, als sie auf dem Boden aufprallte. Mogens wartete auf eine Explosion oder eine Stichflamme, aber das Licht ging einfach nur aus.
    Trotzdem wurde es nicht vollkommen dunkel. Nur ein kleines Stückchen vor ihm schimmerte es in sanftem Grün durch die Schwärze.
    Halb benommen wälzte er sich herum, stemmte sich auf Hände und Knie hoch und versuchte den Staub wegzublinzeln, der ihm in die Augen gedrungen war. Er machte es nur schlimmer. Der Staub schmirgelte wie Sandpapier, und der Schmerz trieb ihm noch mehr Tränen in die Augen. Als befände er sich unter Wasser, sah er einen wie betrunken hin und her torkelnden Lichtfinger auf der anderen Seite der Schutthalde emporstechen und über die Decke streichen – Großer Gott, sie bewegte sich! –, und in all dem Chaos aus dröhnenden, krachenden, polternden und berstenden Lauten meinte er etwas wie ein qualvolles Wimmern irgendwo neben sich zu vernehmen, aber er sah nichts außer schierer Bewegung, die aus allen Richtungen zugleich auf ihn einstürmte.
    Etwas von der Größe einer Holzfällerhütte löste sich aus der Decke und stürzte nur ein kleines Stück neben ihm mit solcher Gewalt zu Boden, dass Mogens hochgeschleudert und ein Stück zur Seite geworfen wurde. Er prallte auf etwas Weiches, das wie unter Schmerzen aufstöhnte, griff ganz instinktiv zu und riss das Mädchen mit sich in die Höhe, als er auf die Füße sprang. Hinter ihnen schlitterte Miss Preussler mit ebenso ungeschickt aussehenden wie schnellen Bewegungen die Böschung herab, und entgegen allem, was er selbst geglaubt hatte, kam Mogens nicht nur in die Höhe, sondern entdeckte auch den rettenden Ausgang, nur einige wenige Schritte vor sich.
    Irgendwie schafften sie es. Mogens hätte nicht sagen können, wie – es waren nur Sekunden, weniger als zehn Schritte, die er auf den Ausgang zutorkelte und das sich heftig sträubende Mädchen mit purer Gewalt hinterherzerrte, aber eswaren zugleich Ewigkeiten des Chaos, in denen sein bewusster Verstand

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