Anubis - Wächter im Totenreich
in seinen Knien und trat zurück. Jetzt erst war ihm richtig klargeworden, was er getan hatte. Durch die Zerstörung des Grabes hatte er Kräfte geweckt, die er nicht mehr kontrollieren konnte. Sie waren ihm aus der Hand geglitten, und seine Befürchtung hatte sich bewahrheitet.
Es war eine Lawine ins Rollen gekommen, die ihn leicht unter sich begraben konnte.
James Barkley war bleich wie ein Toter. Sekundenlang konnte er keinen klaren Gedanken fassen, bis er daran dachte, daß diese Mumie nicht die einzige auf der Totenbarke gewesen war. Es gab dort mehrere der alten, lebenden Leichen, und sicherlich hatten sie sich auf dem Schiff verteilt. Die Menschen ahnten überhaupt nicht, in welch einer Gefahr sie sich befanden.
Dem Mann wurde heiß und kalt zur gleichen Zeit. Was er hier entdeckt hatte, durfte er auf keinen Fall für sich behalten, er mußte die beiden Männer vom Yard informieren, damit sie gemeinsam überlegen konnten, was nun zu unternehmen war. Da der Lift »besetzt« war und er den anderen nicht nehmen wollte, blieb ihm nur die breite Treppe. Der Professor kannte sich auf dem Schiff aus. Er fand die Treppe und ging sie, so rasch es seine zitternden Knie erlaubten, nach unten. Dabei bewegte er seine Lippen, sprach unhörbar vor sich hin und drückte sich selbst die Daumen, daß alles glattging. In der Bar hatte man von den Vorgängen auf Deck natürlich nichts gemerkt. Es hatte sich auch nichts herumgesprochen. John Sinclair und Suko fand der Professor noch an der gleichen Stelle sitzend vor, wenn auch die Gläser inzwischen leer waren.
Uns fiel auf, daß sich James Barkley verändert hatte. Er kam uns wie ein erschöpfter Mensch vor, als er sich taumelnd in die Nische drückte und schweratmend stehenblieb.
»Was ist passiert?« fragte Suko.
Barkley leerte auch sein Glas. Hart setzte er es wieder ab. Sogar der Keeper wurde aufmerksam und schaute unwirsch in unsere Richtung.
»Die Hölle ist los!« keuchte er. »Ich habe die Barke gesehen!«
Wir waren perplex, aber wir zeigten es nicht, denn Überraschungen gab es in unserem Job immer.
»Erzählen Sie!« sagte ich mit ruhiger Stimme.
Gespannt hörten wir zu. Der Professor begleitete seinen Bericht mit heftigen Armbewegungen, und er redete auch von der Mumie aus dem Fahrstuhl.
Das war ein Schlag.
Suko und ich wußten Bescheid.
»Wenn das so ist«, sagte ich, »müssen wir damit rechnen, daß sich alle wachenden Mumien auf unserem Schiff hier verteilt oder versteckt haben.«
»Ja, davon können wir ausgehen.«
Suko setzte ein nicht druckreifes Wort hinzu, während ich mich vom Hocker drückte.
»Wollen Sie hoch?« fragte Barkley.
»Natürlich. So etwas müssen wir uns ansehen.« Ich schüttelte den Kopf.
»Es ist zwar kaum zu glauben, aber in unserem Job muß man immer mit Überraschungen rechnen.«
Die meisten Menschen wunderten sich bestimmt über unsere Eile, aber sie ahnten noch nicht, in welch einer Gefahr sie möglicherweise schwebten. Mir war klargeworden, daß es uns schwer gelingen würde, das Grauen zu stoppen. Wenn die Mumien, angetrieben von dem lebenden Toten Per-nio, Amok liefen, war alles aus. Wir hasteten die Stufen hoch.
Unsere Gesichter waren hart, angespannt. Die Blicke überall. Ich suchte die Zeugen einer längst im dunkeln der Geschichte verschwundenen Vergangenheit, konnte bisher aber keinen entdecken. Eins stand fest.
Der Fall, der in London einen so blutigen Anfang genommen hatte, war urplötzlich in eine heiße Phase getreten.
Der Pulk an Deck war größer geworden. Die Uniformen der Offiziere schimmerten in der Dunkelheit. Es waren auch Besatzungsmitglieder niederer Ränge dabei, die sich bemühten, einen Sperring um die Barke zu bilden. Sie hatten ihre Mühe, denn die Menschen wollten sehen, was sich dort abspielte.
Auch uns wollte man nicht durchlassen. Jetzt wuchs der Professor über sich selbst hinaus. Mit scharfer Stimme rief er einen Offizier an, der tatsächlich kam, und der Professor erklärte ihm, daß er Wissenschaftler und Ägyptologe war.
Der Offizier, ein schlanker Mann mit einem Menjou-Bärtchen auf der Oberlippe, hörte sich die Rede an und nickte schließlich. »Sie können durch, Professor.«
Damit waren auch wir gemeint.
Allein die Reaktion des Offiziers ließ darauf schließen, wie unsicher alle im Prinzip waren. Uns erging es da nicht viel besser, nur sahen wir die Sache etwas realistischer.
Wir bekamen die Barke zu Gesicht. Bisher hatte sich keiner getraut, sie zu betreten.
Wir
Weitere Kostenlose Bücher