Anubis - Wächter im Totenreich
befallen und hielt sie am Leben. An der Spitze schritt Per-nio!
Obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte, wußte ich genau, daß es sich nur um ihn handeln konnte. Er war der Hohepriester, der Mann, der dem Pharao diente, und der nun die Führung übernommen hatte. Eine bemerkenswerte Gestalt.
Ich schluckte ein paarmal, und mein Blick pendelte sich auf diese Gestalt ein.
Per-nio war kleiner als die meisten Anwesenden. Er trug einen purpurroten Mantel, der mehr einem Umhang glich und dicht unter dem Hals von einer goldenen Spange gehalten wurde. Bei jedem Schritt flatterte das Kleidungsstück rechts und links auseinander. Per-nio hatte ein kittelähnliches Hemd an, das aus Goldfäden zu bestehen schien. Seine Beine waren frei. Die Füße steckten in flachen Sandalen, deren Riemen bis dicht unter die knochigen Knie reichten. Ich schaute in sein Gesicht.
Es war hager. Die Haut glich bräunlich schimmerndem Fettpapier, und das Gesicht hatte Ähnlichkeit mit dem eines Vogels. Sehr scharf, äußerst kantig, mit einer gekrümmten, weit vorragenden Nase, sehr schmalen Lippen und Augen, deren Pupillen dunkel waren. Das Kinn »floh« ein wenig zum Hals hin, so daß sein Gesicht in der unteren Hälfte flach wirkte.
Er hielt in seiner rechten Hand die Grabbeigaben, die wir vermißt hatten. Einen Obsidiandolch, der eine hellgrüne Klinge besaß, die wie Perlmutt schimmerte. In der linken Faust hielt er eine bronzefarbene Schlange. Seine Grabbeigaben und sicherlich auch seine Waffen. Er war nicht allein gekommen, denn fünf Mumien begleiteten ihn. Zwei schritten vor ihm her, die restlichen drei hinter ihm. Es war still geworden. Die Zuschauer hielten den Atem an, denn so etwas hatten sie noch nicht erlebt. Vielleicht dachten einige von ihnen an einen Gag oder eine Theateraufführung. Wir wußten es besser, auch der Kapitän mußte mittlerweile eingesehen haben, daß dies nicht zum normalen Unterhaltungsprogramm einer Nilreise gehörte. Was wir erlebten, war Magie, Schwarze Magie. Ein Zauber, den die Geschichte des Landes entlassen hatte.
Per-nio schritt wie ein König. Trotz seiner nicht sehr großen Gestalt kam er mir mit seiner aufrechten Haltung herrschaftlich vor. Die Passagiere und auch die Offiziere kümmerten ihn seltsamerweise nicht, er hatte allein Augen für uns. Suko, der Professor und ich standen dicht beisammen. Per-nios Blick pendelte sich auf den Professor ein. Er wollte ihn.
Etwa drei Schritte trennten uns noch von der unheimlichen Gruppe, als Per-nio stehenblieb.
Er sprach nicht, in seinem Gesicht regte sich nichts, und auch die Mumien-Begleiter vor und hinter ihm griffen nicht ein. Uns rann trotzdem eine Gänsehaut über den Rücken, und ich spürte wieder die Erwärmung des Kreuzes.
»Du!« sagte er, wobei ich ihn seltsamerweise verstand, obwohl ich die Sprache noch nie gehört hatte.
Auch Suko konnte ihn verstehen, das merkte ich seinem überraschten Gesichtsausdruck an.
»Du meinst mich?« fragte Barkley.
»Dich meine ich.«
»Was willst du von mir?«
Per-nio bewegte seine strichdünnen Lippen, bevor er den Mund ein wenig öffnete. »Du trägst die Schuld daran, daß der Fluch erwacht ist. Du hast die Kräfte des Anubis geweckt, die nun auf mich übergegangen sind. Ich, Per-nio, der Hohepriester der Königin, bin wieder zurückgekommen, und ich werde diejenigen bestrafen, die meine Ruhe gestört haben. Aber nicht nur das. Ihr habt geraubt und geplündert. Die Statue des Anubis wurde in ein fernes Land entführt, ohne daß ihr um ihr Geheimnis wußtet. Sie war nicht tot, sie lebte, aber ihr habt sie endgültig vernichtet. Blut kann nur mit Blut abgewaschen werden, und deshalb werdet ihr mitkommen, denn die Grabkammer ist groß genug. Wenn sie wieder verschlossen wird, liegen noch mehr Menschen in ihr…«
»Was soll der Quatsch überhaupt?« Es war der Kapitän, der diese Frage gestellt hatte. Er hatte sich von seiner ersten Überraschung erholt und mitbekommen, daß man ihm die Herrschaft über das Schiff aus der Hand genommen hatte. Das konnte er sich nicht gefallen lassen. Zwei Schritte mußte er vortreten, damit er zwischen Per-nio und uns stehen konnte. Dabei starrte er den Magier aus dem alten Ägypten wütend an. »Sag mir endlich, was die Verkleidung soll!« zischte er. »Ich finde das nicht mehr zum Lachen…«
»Geh aus dem Weg!«
»Willst du mir hier Befehle geben!« schrie der Mann.
»John, das gibt gleich eine Katastrophe!« keuchte Suko.
»Lassen Sie ihn!« rief ich. »Sie sind
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