Anubis - Wächter im Totenreich
darüber, weshalb ich mich nicht wehrte, aber das endgültige Aus kam nicht.
Per-nio stach zwar zu, doch er hatte den Dolch mitten in der Bewegung gedreht und schlitzte mit einem geschickten Schnitt das Hemd vom Kragen bis zum Nabel auf.
Die beiden Hälften klafften auseinander, frei lag meine Brust vor ihm, bis auf eine Kleinigkeit.
Es war das Kreuz!
Ich hatte es nicht wieder weggesteckt, sondern mir um den Hals gehängt. Jetzt baumelte das Kreuz vor meiner Brust und war den Blicken Per-nios zugänglich.
Erst starrte er mich an, danach senkte er den Blick und die Hand mit dem Dolch und schaute auf das Kruez.
Was er dachte, war seinem Gesicht abzulesen. Es zuckte, die Augendeckel klimperten, und er zeigte eine gewisse Unsicherheit, die mir wiederum Sicherheit gab.
Er konnte das Kreuz nicht überwinden!
Ich schielte an meinem Körper hinab. Auf dem Balken glühte das Auge des Horus.
Hatte es mich gerettet?
Per-nio brauchte noch immer Zeit, um sich zu erholen. Er stand mir gegenüber, Dolch und Schlange in seinen Händen zitterten, und der Blick war gebannt auf das Auge gerichtet.
»Horus!« stieß er hervor. »Was hast du mit dem Auge des Horus zu tun, du Mörder?«
Er redete, er tat nichts. Das war viel wert, und ich beschloß, die Situation für mich auszunutzen. »Seit ich in diesem Lande bin, Per-nio, wacht das Auge des Horus über mich. Es schaut auf die Gerechten und gibt ihnen Schutz sowie Sicherheit.«
Der Hohepriester hob beide Arme und schüttelte heftig den Kopf.
»Nein!« drang es aus seinem Mund. »Nein und abermals nein! So kann man das nicht sehen. Du bist kein Gerechter. Du hast einen Mord auf dich geladen, du hast Anubis getötet, die Figur…«
»Sie hat ebenfalls gemordet«, stellte ich richtig.
»Das steht ihr zu, denn sie ist ein Gott. Anubis hat ihr die Kraft gegeben, deshalb darf sie es. Du aber warst anmaßend. Du bist nicht Horus, und du besitzt auch nicht dessen Auge. Als Fremder hast du dich in unser Land eingeschlichen, und als Fremder wirst du die Qualen eines Todes erleiden. Wer gab dir diesen Schutz?«
Damit meinte er das Kreuz. Ich sah nicht ein, daß ich ihm die Wahrheit erklärte, deshalb hob ich die Schultern und antwortete ziemlich wage.
»Ein sehr weiser und alter Mann hat es mir überlassen. Dieser Mann wußte genau, was er tat. Jahre hat er benötigt, um das Kreuz herzustellen. Unter dem Einsatz seines Lebens ist ihm dies gelungen, und ich, der Erbe, der Sohn des Lichts, habe es bekommen.«
»Ich habe nie von einem Sohn des Lichts gehört. Deshalb bist du auch kein Magier.«
»Nein, ich halte mich nicht für einen Magier.«
»Für was denn?«
»Ich bin ein Mensch, der gegen die Mächte der Finsternis kämpft. Das wollte ich dir sagen.«
»Du wirst verlieren, Mensch. Die Schwingen des Todes und der Mächte der Finsternis kann niemand besiegen. Sie sind zu stark, ihre Reiche unermeßlich groß, und auch aus der jenseitigen Welt wachen sie mit scharfen Augen über uns.«
»Und wer wacht über dich?« fragte ich.
»Anubis.«
»Du warst nicht tot?«
»Nein, ich bin nicht wirklich gestorben. Ich habe schon zu meinen Lebzeiten lange mit Anubis gesprochen. Ich bekam mit ihm Kontakt, und als ich angeblich starb, da war ich nur in einen tiefen Schlaf gefallen. Die Totenbarke fuhr nicht über den großen Fluß, um mich in ein anderes Reich zu bringen. Sie blieb, und ich blieb. So lag ich in dem Sarkophag und wartete. Der Zauber des Totengottes füllte meine Grabkammer aus. Er war mächtig, er war überall zu finden, ich wurde von ihm gefangen, und ich lag die langen Jahre eingeschlossen in meinem Sarg. Irgendwann einmal, das wußte ich, würde jemand meine Ruhe stören und mich wieder befreien. Das geschah. Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, aber es hat sich viel geändert. Die Welt ist eine andere geworden, doch Anubis und sein Geist füllten meine Grabkammer noch immer aus. So gab er den steinernen Wächtern Kraft, so sorgte er für mich und meine sechs Diener, daß wir nicht vergingen. Es hätte alles ruhig bleiben können, wenn da nicht ein sehr neugieriger Mann gekommen wäre und das Grab geöffnet hätte. Damit befreite er mich, aber auch den Geist des Anubis, der in die steinernen Wächter hineinfuhr. Einen hat der Mann mitgenommen und in eine fremde Stadt geschafft. Dort aber ist er dem Fluch und dem unheilvollen Zauber verfallen, denn Anubis läßt mit sich nicht machen, was der andere will. Er gibt die Befehle, und er gab mir auch den Befehl
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