Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Buch gelesen hatte, wie schwierig die Dreißigerjahre für Hessen gewesen waren. 1937 hatte er Deutschland besucht in der Hoffnung, dort als ein Held des Dritten Reichs empfangen zu werden, weil er in seiner Zeitschrift Vortex die faschistischen Ideale glorifiziert hatte. Aber zu diesem Zeitpunkt interessierte sich Hitler schon nicht mehr für obskure Mythen und Kulte, die ursprünglich eine Quelle der nationalsozialistischen Ideologie gewesen waren. Und dann lehnten Nazi-Bürokraten der unteren Rangstufen nicht nur seine Bilder und seine Kunsttheorie ab, weil sie in ihren Augen viel zu abstrakt und surreal waren, sondern sie verweigerten ihm auch die Mitgliedschaft in der Waffen- SS . Typisch für einen Mann, der ein Talent dafür hat, sich mehr Feinde als Freunde zu machen, hatte Hessen die Bedeutung seiner visionären Kunst völlig falsch eingeschätzt.
Wutentbrannt und untröstlich angesichts dieser Ablehnung, die er als Verrat empfand, kehrte er nach Hause zurück, und wurde kurz darauf, nachdem Großbritannien in den Krieg eingetreten war, wegen seiner politischen Kontakte bis 1945 inhaftiert.
»Und wir vermuten auch, dass sie ihn noch gekannt hat, als er wieder aus dem Gefängnis kam, jedenfalls für eine kurze Zeit.« Harold grinste und zwinkerte, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen.
Hessen hatte weder den Stammbaum und die Verbindungen eines Oswald Mosley noch die Verdienste eines Ezra Pound, was ihm ermöglicht hätte, die Diffamierungen zu ertragen, denen er nach dem Krieg ausgesetzt war. Miles Butler vermutete, dass dies der Grund war, warum er sich in Knightsbridge völlig zurückgezogen hatte. Sogar Mosley distanzierte sich zu dieser Zeit von Hessen, weil er ihn für einen »dekadenten und kranken Geist« hielt. Nur der Okkultist und Forscher Eliot Coldwell verteidigte seine Kunst in den Fünfzigerjahren wegen ihrer Verbindungen in die »ungesehene Welt«. Und erst in den späten Siebzigerjahren wandten sich einzelne Kritiker seinen wenigen nachgelassenen Werken zu. Nun gab es nur noch die Freunde von Felix Hessen, ihre schrille Website und ihre Publikationen, die höchstwahrscheinlich sehr niedrige Auflagen hatten, um seinen Ruhm am Leben zu erhalten. Apryl fand das alles ganz schrecklich und deprimierend. Hessens Vermächtnis, seine Anhänger und seine Kunst. Wenn das alles nichts mit ihrer Großtante zu tun hätte, würde sie ihm keine Sekunde ihrer Zeit widmen. Sie wünschte, sie wäre nie zu dieser lächerlichen Zusammenkunft gegangen. Das war wirklich kein Ort, an dem man freitagabends in London landen wollte.
Apryl setzte sich auf die Lehne des Sessels, in dem der schmächtige Körper von Alice versunken war. Harold blieb dicht neben ihr stehen, drei Finger noch immer auf ihre Schulter gelegt, als wollte er sichergehen, dass er sie jeden Augenblick dort fortscheuchen konnte.
Sie lächelte die drei verschleierten Frauen an. Kreidebleiche Gesichter starrten sie durch das schwarze Netztuch an. Sie murmelten eine Begrüßung, warteten aber begierig auf das, was sie mit Alice besprechen wollte.
»Hallo, Alice, ich bin Apryl«, sagte sie und beugte sich ein wenig zu der gekrümmt dasitzenden Gestalt, um einen Blick in das Gesicht unter dem grünen breitkrempigen Hut werfen zu können. »Ich habe gehört, dass Sie mit Felix Hessen befreundet waren.«
Ein uraltes Gesicht mit triefenden gelben Augen hob sich und blickte sie an. Dann lächelte es. Eine krallenartige Hand legte sich auf ihr Knie, direkt unter dem Saum des Rocks. »Ja, meine Liebe. Das ist schon lange her.« Die vertrockneten Finger bewegten sich mit kreisförmigen Bewegungen über den Stoff ihrer Strumpfhose.
»Bestimmt werden Sie ständig über ihn ausgefragt. Meine Großtante hat ihn auch gekannt.«
Die gebrechliche Hand hob sich von ihrem Knie und gestikulierte schwach. »Ich hab es euch ja schon oft gesagt. Nach dem Unfall hat sich alles verändert. Da war es nicht mehr so wie vorher. Natürlich waren da noch die Puppen und diese Sachen … Das hat er uns gezeigt damals, im … im … «
»Mews Studio, in Chelsea«, warf Harold ein.
»Wo bist du, mein Lieber?«
Harold beugte sich nach unten. »Hier, Alice. Direkt neben dir.«
»Wer ist die junge Dame mit den hübschen Beinen, mein Lieber? Hat sie nicht wirklich hübsche Beine?«
Harold lachte vor sich hin. »Das finde ich auch.« Die Finger auf Apryls Schultern klammerten sich fester. Das alles kam ihr sehr merkwürdig vor.
»Das ist Apryl, sie ist eine
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