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Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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unten sehe. Aber manchmal zeigt es sich mir auch so: Es kommt durch die Wände, ist in einem lachenden Mund zu sehen, hinter einem leeren Blick oder versammelt sich an einem elenden Ort. Entweder komme ich ihm näher oder es schiebt sich enger an mich heran. Manchmal kann ich seinen Atem im Nacken spüren. Meine Träume sind voll davon. Obwohl mein Bewusstsein es zu vertreiben versucht, als hätte es einen eingebauten Abwehrmechanismus dagegen. Aber es ist immer da. Und wartet. Wenn ich über meine Schulter blicke oder zerstreut an einem Spiegel vorbeihaste, kann ich es sehen. Oder wenn ich erstarre, dann kriecht es ins Zimmer wie ein fremdartiges dunkles Tier auf der Suche nach Nahrung.
    Nach einer Stunde und fünfzehn Minuten Vortrag saß Apryl auf dem schmutzigen Fußboden hinter einem Sofa. Während Herndl die Namen von irgendwelchen Riten herausbellte, die Hessen von Aleister Crowley übernommen und »mit großem Erfolg durchexerziert« hatte, drehte sich alles in ihrem Kopf. Erschöpft von der stickigen Wärme, nervös, aufgekratzt und benommen von der verschmutzten Stadtluft, hörte sie schließlich den wohlwollenden Applaus, als der eigenartige Vortrag in gebrochenem Englisch endlich vorbei war. Sie richtete sich auf und wollte gehen. Aber Harold war schon neben ihr, ehe sie ihren Mantel gefunden hatte.
    »Wollen Sie uns etwa schon verlassen? Nein, das dürfen Sie nicht – wir haben uns doch noch gar nicht über Ihre Großtante unterhalten. Und wenn Sie jetzt gehen, verpassen Sie ja das Beste – die Interpretationen. Oder, wie wir es gerne nennen, die ›Studien von Träumern in einem Raum‹. Sehen Sie, die Freunde von Hessen verbinden ihre Gedanken über Hessens Visionen, indem sie von den Träumen erzählen, die sie unter dem Einfluss seiner Bilder gehabt haben. Wir versuchen, die verschwundenen Gemälde mithilfe von Trancezuständen zu rekonstruieren. Unsere Mitglieder nutzen die unterschiedlichsten Mittel, um sich dem Vortex zu nähern.«
    »Wirklich. Ist ja spannend.« Apryl hatte kaum noch Kraft zu sprechen. »Ich muss aber los. Ich bin zum Abendessen verabredet.«
    Harold hörte gar nicht zu. »Sie werden sehen, warum das so wichtig ist.«
    Er bat um Ruhe, und sofort hob sich im vorderen Teil des Zimmers ein Wald von Armen in die Höhe, um mit der Übung zu beginnen. Die Musik wurde ausgeschaltet. Das Gerede erstarb. Ein in einem schäbigen Mantel gekleideter Mann mit weißem kinnlosen Gesicht und hervortretenden Augen ergriff als Erster das Wort.
    »Ich bin zweimal an den gleichen Ort zurückgekehrt. Dort war Licht, aber keins aus einer natürlichen Quelle.«
    Ein zustimmendes Murmeln ertönte. Oder war es nur Unruhe?
    »Und in den gelblichen Gasen sah ich erneut das verhüllte Gesicht. Eine große Gestalt lief vor mir und kam auf mich zu, ihr Gesicht war rot verhüllt. Dann hielt sie an und schien plötzlich wieder weiter entfernt zu sein. Sie wiederholte diese Bewegung mehrere Male. Dann wachte ich auf und dachte, ich hätte einen Herzinfarkt.«
    Bevor er weitersprechen konnte, deutete Harold auf einen der jungen Männer im Trenchcoat.
    »Ich fastete in meinem vorderen Zimmer und hatte mich zwei Tage und zwei Nächte lang jeder visuellen Stimulation enthalten bis auf den Anblick des Puppen-Triptychon IV . Und als ich dann einschlief, bemerkte ich Gestalten um ein Feuer herum. Gestalten wie aus Stöcken gemacht. Einige von ihnen fielen hinein.«
    Im Raum wuchs die Unzufriedenheit. Zwar lehnten die Anwesenden die Träume oder Halluzinationen der anderen nicht ab, aber offenbar glaubte jeder, dass seine eigenen Visionen viel bedeutender waren.
    »… ich sah hasserfüllte Gesichter. Schwarz und rot voller Wut.«
    »… sie sahen aus wie Clowns in schmutzigen Pyjamas.«
    »… zwei Frauen und ein Mann in Kleidern der Edwardischen Epoche. Aber sie hatten kein Fleisch an den Knochen. Ich konnte nicht aufwachen oder vor den beiden Frauen davonlaufen, die von ihren Kappen aus Netze ausbreiteten.«
    »… krochen auf allen vieren in der Ecke eines Kellerraums. Die Wände aus Ziegelsteinen waren feucht.«
    Apryl war durstig und trank ein zweites Glas Wein. Das war ein Fehler. Sie hatte noch nichts gegessen und fühlte sich benommen. Sie plapperten allesamt über unzusammenhängende Fragmente ihrer Albträume, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten, zurück in den trostlosen Alltag ihres entfremdeten Daseins. Aber was sollte das alles? Was wollten die überhaupt? Die stickige Luft und die Hitze und das

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