Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Dann nahm die Frau eine hochnäsige Pose ein und schwieg.
Harriet kam zurück, bahnte sich den Weg zwischen den verbeulten Jacketts und strähnigen Köpfen hindurch und schob hier und da ein paar dünne Beine beiseite. Hinter ihr hoppelte ein dicker älterer Mann her, von dem Apryl annahm, dass es sich um Harold handelte. Auf seinem breiten Kopf saß eine braune Brille mit dicken Gläsern, die seine Augen um das Vierfache vergrößerten. Bis auf einen Kranz weißer Haare, die ihm auf die Schultern fielen, war sein Schädel kahl. Sein Smoking war mit Flecken übersät.
»Ahhh«, seufzte er und öffnete dabei einen Mund mit nur noch wenigen Zähnen. Sein Atem war so schlecht, dass ihr beinahe übel wurde. Man konnte die Bakterien geradezu riechen. Die verbliebenen Zähne hatten die Farbe von feuchten Erdnüssen. »Eine direkte Verwandte eines Menschen, der persönlich auf einen der größten Geister in der Geschichte der Kunst getroffen ist. Sie sind eine Rarität, meine Liebe, so etwas wie ein Dokument, auf dem seine Unterschrift festgehalten ist. Aber wir müssen Ihr noch unterentwickeltes Fachwissen auf den Pfad des wahren Wissens lenken. Ich werde Ihnen später sehr gern eines meiner eigenen bescheidenen Werke zeigen. Fünfzehn Jahre habe ich daran gearbeitet. Ich würde es eine kritische Würdigung von Hessens künstlerischer Vision im Stil einer Traumerzählung nennen, in Annäherung an die verloren gegangenen Ölgemälde.«
»Wir werden es über unsere Gesellschaft veröffentlichen«, sagte Harriet mit so viel Begeisterung, dass ihr ganzer Körper dabei vibrierte. »Die Titelillustration ist von einem unserer Mitglieder gestaltet worden. Ich nehme heute Abend schon Vorbestellungen entgegen. Die Werke werden als feinste gebundene Ausgaben zu neunzig Pfund das Stück verkauft. Signiert selbstverständlich.«
Apryl wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, nickte aber und setzte ein überaus freundliches Lächeln auf, bis ihr das Gesicht wehtat. Aber sie musste gar nichts erwidern, denn Harold war ganz erpicht darauf, ihr zu erklären, um was es ging. Auch zu den Leuten, die ihr die Hand schüttelten, als sie durchs Zimmer geführt und allen vorgestellt wurde, musste sie nichts sagen. Die Anwesenden waren viel zu sehr damit beschäftigt, selbst zu reden. Womöglich hatten sie in ihrem normalen Leben wenig Gelegenheit dazu, überlegte sie.
»Ja, die junge Amerikanerin«, sagte ein älterer Herr mit schmalem Gesicht und wild wuchernden Haaren, die er notdürftig um seinen kegelförmigen Schädel gebürstet hatte. »Harold hat von Ihnen gesprochen. Sind Sie schon in der British Library gewesen? Dort gibt es ein paar sehr schöne Drucke der Verzerrungen . Haben Sie die Gestalt einer Frau, die Hände ins Gesicht verkrallt gesehen? Oder Kindsgeburt: Abbild einer toten Frau ? Davon gibt es da auch ganz gute Replikate.«
Apryl erklärte, die habe sie noch nicht gesehen.
»Sie müssen unbedingt in das Pub Black Dog and the Guardsmen’s Rest gehen und dort was trinken«, sagte ein anderer Mann mit einer geschwollenen Lippe. »Hessen war dort Stammgast. Zusammen mit Bryant, dem Dichter. Natürlich haben die Inhaber gewechselt, aber die Decke über der Bar ist noch im Originalzustand.« Seine Augen blinzelten heftig.
»Ich kann Sie mitnehmen«, sagte ein korpulenter Mann in einem Gehrock. Er war betrunken und starrte ihre Beine an.
»Reiß dich zusammen, Roger. Reiß dich zusammen«, sagte Harold etwas verärgert, ehe er Apryl weiter zu den vier Damen führte. Er legte seine plumpen Hände auf Apryls Schultern und flüsterte ihr konspirativ ins Ohr: »Alice wird Ihnen zu Anfang vielleicht ein wenig eigenartig vorkommen. Aber ich bin mir sicher, Sie werden mir beipflichten, dass dies nur selten etwas Schlechtes ist. Sie ist schon über neunzig. Und Sie müssen sie unbedingt kennenlernen. Für uns alle ist sie eine echte Kostbarkeit. Wissen Sie, sie ist die einzige von uns, die Hessen jemals persönlich getroffen hat.«
Apryl erstarrte und war mit einem Mal nicht mehr verlegen. »Sie hat ihn gekannt?«
Harold lächelte zufrieden. Seine großen wässrigen Augen schwammen hinter Gläsern seiner Brille umher. »Um es genauer zu sagen, sie war in den Dreißigerjahren mit ihm bekannt. Damals als der große Künstler gerade seine Phase der Szenen nach dem Tod beendet hatte, soweit wir es wissen. Aber ihr Gedächtnis … na ja … ist auch nicht mehr das, was es mal war.«
Apryl erinnerte sich, dass sie in Miles’
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