Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
möchten also was über Felix wissen. Deshalb sind Sie doch gekommen. Mich können Sie nicht an der Nase herumführen, meine Liebe. Aber es wird Ihnen gar nicht guttun. Sie werden es nicht verstehen. Niemand kann das verstehen.«
»Versuchen Sie es doch mal mit mir. Bitte.«
»Er hat Lilly in den Wahnsinn getrieben. Aber das wissen Sie ja schon, nicht wahr?«
Apryl nickte. »Ja, ja, das weiß ich. Aber ich wüsste gern, wie er das gemacht hat.«
Mrs. Roth sah schweigend auf ihre Hände. Als Apryl sich schon fragte, ob die alte Frau überhaupt noch etwas sagen würde, erklärte sie: »Ich denke nicht gern an ihn. Ich erinnere mich wirklich nicht gern an ihn.« Ihre Stimme klang müde. Ihr reizbares und schwieriges Temperament war mit einem Mal spurlos verschwunden. Matt und kraftlos sprach sie weiter. »Als er endlich fort war, hofften wir alle, dass es nun vorbei wäre. Aber das war naiv von uns gewesen. Männer wie er folgen nicht den gleichen Regeln wie wir anderen. Lilly wusste das. Sie hätte dir genau das Gleiche erzählt. Niemand hätte uns geglaubt. Aber wir wussten Bescheid.«
Apryl beugte sich vor.
»Als er hierherkam … ich weiß gar nicht mehr, wann das war … jedenfalls nach dem Krieg. Als Arthur und ich aus Schottland zurückkamen, da war er schon hier.« Sie hielt inne und strich mit ihren knotigen Händen über die Bettdecke. »Er war der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Das dachten wir alle. Aber er lächelte nie. Kein einziges Mal. Und er sprach auch mit niemandem. Das kam uns merkwürdig vor. Dieses Haus war ja nie ein Ort des Rückzugs gewesen. Eher das Gegenteil. Damals war es nicht so wie jetzt. Es war ein wunderbarer Ort, wo die Nachbarn alle befreundet waren. Wir hatten viel miteinander zu tun. Und es waren sehr vornehme Leute. Nicht so wie heute. Jetzt ist hier jede Menge Abschaum. Leute ohne Manieren. Sie sollten mal hören, was für einen Krach die machen. Wir wissen nicht mal mehr, wer neben uns wohnt. Ständig ziehen Menschen ein und aus. Es ist einfach nicht zu ertragen.«
Mrs. Roth schluchzte ein wenig vor sich hin. Sie zog ein Taschentuch aus dem Ärmel ihres Nachthemds und tupfte sich damit die Augen ab. Eine dicke, viel zu groß wirkende Träne rollte über ihre Wange und tropfte aufs Handgelenk.
Ohne weiter nachzudenken, setzte Apryl sich auf den Rand des Bettes. Sofort reichte Mrs. Roth ihr ihre freie Hand. Sie war verkrümmt wegen ihrer Arthritis und sehr kalt. Apryl wärmte ihre Finger zwischen den Handballen. Dies ließ Mrs. Roth nur noch heftiger in Tränen ausbrechen; sie weinte wie ein Kind, dessen Kummer sich in dem Moment verstärkt, wo es von der Mutter in die Arme genommen wird.
»Man traf ihn des Öfteren im Treppenhaus. Er benutzte nie den Aufzug. Da stand er dann ganz allein und schaute sich die Bilder an. Manchmal nahm er eins von der Wand, um es genauer zu studieren. Wenn man ihn dabei störte, drehte er sich zu einem um. Ich mochte das überhaupt nicht. Niemand sah ihm gern in die Augen. Er war ein Wahnsinniger. Völlig verrückt. Kein normaler Mensch konnte solche Augen haben. Niemand fühlte sich in seiner Gegenwart wohl. Viele von uns waren jüdischer Herkunft, und wir wussten ja, dass er mit diesen Hitler-Leuten zu tun gehabt hatte. Wie nennt man die noch?«
»Faschisten.«
»Unterbrich mich nicht, meine Liebe. Nichts regt mich mehr auf als eine Frau ohne Umgangsformen.«
»Entschuldigen Sie.«
»So ging das viele Jahre. Ich habe mich kein einziges Mal mit ihm unterhalten. Nie. Keiner hat das gemacht. Die Portiers mochten ihn auch nicht. Sie hatten Angst vor ihm. Wir alle hatten Angst. Er wohnte in der Wohnung unter uns. Hier drunter.« Sie deutete zu Boden. »Und jede Nacht machte er furchtbaren Lärm. Bewegte Sachen hin und her. Weckte uns auf. Ständig rumpelte es. Und man hörte Rufe. Er sprach laut vor sich hin. Man konnte den Eindruck haben, er befände sich in einem angrenzenden Zimmer. Und wir hörten andere Stimmen, die sich direkt unter seiner Decke befanden. Unter unseren Füßen. Aber wir sahen nie irgendwelche Besucher ein oder aus gehen. Niemand konnte sich erklären, wie sie zu ihm hinaufkamen. Wir fragten die Portiers, und sie schworen, niemand sei für den Herrn in Apartment Nummer sechzehn hereingekommen oder habe nach ihm verlangt. Aber er hatte Besuch. Es war nicht das Radio, das wir da hörten. Radios klingen ganz anders.
Manchmal hatte man den Eindruck, seine Wohnung sei voller Leute. Als feierte er eine Party, aber
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