Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
während die strengen Augen auf die beiden Sessel am Fußende des Bettes rechts und links des Fernsehapparats wiesen.
Apryl lächelte schwach, nahm ihre Tasche von der Schulter und ging auf den Sessel zu, der ihr am nächsten stand. »Hallo, Mrs. Roth. Vielen Dank, es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie mich empfangen. Ich … «
»Nicht da«, bellte die Alte sie an. »Den anderen.«
»Entschuldigen Sie. Ich wollte gerade sagen, dass … «
»Vergessen Sie das. Ziehen Sie Ihren Mantel aus, meine Liebe. Wer behält denn im Haus den Mantel an?«
Auf beiden Seiten des breiten Bettes, in dessen Mitte die schmale Gestalt auf großen weißen Kissen lag, standen zwei Kommoden mit zahlreichen aufgestellten Bilderrahmen. Die Gesichter auf den Schwarz-Weiß-Fotos sahen alle zum Ende des Bettes, dorthin, wo Apryl jetzt Platz genommen hatte. Sie saß auf einem unbequemen harten Ohrensessel, dessen Lehne ihr Blickfeld zu beiden Seiten einengte, sodass sie gezwungen war, die Gestalt im Bett vor sich direkt anzuschauen.
Ihr wurde also eine Audienz gewährt. Aber was für eine Audienz war das bloß? So wie Mrs. Roth sich benahm, konnte man mir ihr kaum eine vernünftige Unterhaltung führen – aber genau darauf kam es ja an. Die schlaue alte Dame versuchte, die absolute Kontrolle über das Gespräch und ihre Besucherin zu behalten, indem sie sie von Anfang an verunsicherte und sie durch Unfreundlichkeiten kirre machte. Und wer wollte schon dagegen aufbegehren, egal, ob er nun als Besucher gekommen war oder als machtloser Angehöriger der Dienerschaft, die sie bezahlte, so wie die Portiers im Erdgeschoss? Sogar der geschwätzige und unsensible Piotr bekam es mit der Angst, wenn Mrs. Roth erwähnt wurde. Und das Gesicht der armen kleinen Imee drückte die gleiche Furcht und Abneigung aus. Die Krankenschwester betrat das Zimmer nicht – womöglich war es ihr verboten. Sie wartete draußen.
Aber Miles hatte Apryl ja daran erinnert, dass Mrs. Roth zu der immer kleiner werdenden Gruppe von Menschen gehörte, die von der Existenz der sagenumwobenen Gemälde von Felix Hessen wusste und sie bezeugen konnte. Also befand sie sich jetzt auch in Miles’ Auftrag hier. Und viel wichtiger war noch, dass Mrs. Roth Lillian gekannt hatte. Und die letzten handfesten Spuren vom Leben ihrer Großtante würden schon sehr bald endgültig verschwunden sein.
Zumindest war Mrs. Roth wesentlich klarer im Kopf als Alice von den Freunden von Felix Hessen. Und hinter ihrem abweisenden Verhalten verbarg sich eine verletzliche alte Frau.
»Ich möchte nicht über ihn sprechen«, sagte Mrs. Roth, als könnte sie ihre Gedanken lesen.
»Hm?«
»Sie wissen, wen ich meine. Treiben Sie keine Spielchen mit mir. Ich bin nicht dumm. Sie sind auf dem Holzweg, wenn Sie glauben, Sie könnten mich zum Narren halten.«
Und warum durfte ich dann kommen? Aber Apryl wusste, dass sie ein Streitgespräch vermeiden musste. Mit Mrs. Roth sollte man sich auch besser keine Scherze erlauben. Man musste sie einfach ertragen, bis ihre Laune sich vielleicht änderte. Eines allerdings wusste Apryl aus Erfahrung, nämlich dass rohe und unfreundliche Menschen oft auf Komplimente ansprachen. Man konnte einen Menschen, dessen Grobheit aus Unsicherheit geboren wurde, genau an dieser Achillesferse packen.
Apryl lächelte so freundlich und aufrichtig, wie es ihr nur möglich war. »Aber so etwas würde ich doch nicht eine Sekunde lang denken, Mrs. Roth. Würde denn ein Dummkopf in so einem großen Apartment wohnen? Ich hab noch nie eine so wunderbare Wohnung gesehen.«
»Reden Sie keinen Unsinn. Hier ist es grässlich.« Aber ihr Versuch, der alten Dame zu schmeicheln, war sehr wohl von Erfolg gekrönt, denn ganz langsam verwandelte sie sich in eine etwas angenehmere Gesprächspartnerin. Ihre Wangen röteten sich, und die Augen glänzten vor Stolz. »Sie hätten die Wohnung mal sehen sollen, als mein Mann noch lebte. Wir hatten großartige Partys hier, mein Liebe. So etwas gibt es heutzutage gar nicht mehr. Ganz viele liebenswerte Menschen kamen da zusammen. Menschen, die man heutzutage nirgendwo mehr antrifft. Sie haben ja keine Ahnung, wie charmant die Männer damals waren. So feine Herren gibt’s einfach nicht mehr. Und die Schönheit der Damen erst. Ihr Mädchen von heute seid nichts im Vergleich zu uns damals. Ich meine, sehen Sie sich mal an, meine Liebe. Sie sollten unbedingt was mit Ihrem Haar machen. Das sieht ja furchtbar aus.«
Apryl bemühte sich, weiter zu lächeln.
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