Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
stottern.
»Dort, wo die Rosen lagen«, sagte Apryl. »Wo sie die ganzen Rosen hingelegt hat. Es war ein Ort des Gedenkens.« Sie sah Tom Shafer eingehend an. »Wegen Hessen. Weil er ihn gequält und in den Wahnsinn getrieben hat. Aber wie?«
Tom Shafer schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.«
»Aber Sie müssen es doch wissen. Mein Großonkel war ein Kriegsheld, der als Pilot in ganz Europa eingesetzt war. Er hat viele Auszeichnungen bekommen. Er hat den Krieg überlebt und ist zur großen Liebe seines Lebens zurückgekommen. Und dann hat er sich wegen des Streits mit einem Nachbarn umgebracht? Und hat seiner Frau damit das Herz gebrochen, sodass sie den Verstand verlor? Ich kann nicht glauben, dass niemand weiß, warum er das getan hat. Sie haben die beiden doch gut gekannt.«
Wieder schüttelte er den Kopf. »Jetzt beginnen Sie so langsam zu verstehen, warum wir nicht davon sprechen wollen und es auch noch nie getan haben. Abgesehen von Ihrer Tante, die nie loslassen konnte. Vielleicht hatte sie ja bessere Gründe als wir anderen. Aber wie soll ich das erklären? Man kann es nicht verstehen, wenn man nicht dabei war. Reggie war nicht der Einzige, der sich umgebracht hat. Auch Mrs. Melbourne hat Selbstmord begangen. Sie war die Erste. Ist aufs Dach geklettert und hat sich hinabgestürzt, wo sie auf dem verdammten Zaun aufkam. Sie mussten sie da regelrecht herausschneiden. Und dann kam Arthur, der Mann von Betty.«
»Nein.«
Er nickte. »Oh, sie haben behauptet, es sei ein Herzfehler gewesen, aber in Wirklichkeit hat er eine Überdosis genommen.«
»Aber warum ist denn keiner von Ihnen von hier fortgegangen? Warum können Sie nicht weg? Lillian ist daran gestorben, dass sie es immer wieder versucht hat. Ich verstehe das nicht.«
Tom Shafer wurde laut vor Zorn. »Glauben Sie denn, dass wir es nicht versucht hätten? Aber wir können nicht! Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Wir kommen in jede Himmelsrichtung nur einen Straßenzug weit, und wir wissen nicht, warum.«
»Die Gemälde. Die Bilder von Hessen. Es ist wegen dieser Bilder. Meine Großtante meinte, die hätten etwas damit zu tun.«
Tom Shafers kleiner Körper schien noch mehr zu schrumpfen und im Sessel zu versinken. Jetzt sah er nur noch aus wie ein Häuflein Haut und Knochen, umhüllt von einem karierten Hemd und einer Haushose. Seine knochige Hand auf der Sessellehne zitterte. Er schloss die Augen, und sein ganzer Körper fing an zu beben. Apryl hatte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen und ihn zu umarmen, so wie sie es bei Betty Roth getan hatte. Sie wollte diesen müden und gebrochenen alten Mann trösten, so wie jemand Lillian hätte trösten sollen. »Ich möchte mich möglichst nicht daran erinnern«, murmelte er.
»Lillian hat von dem, was auf diesen Gemälden zu sehen ist, geträumt. Und dann hat sie diese Dinge gesehen, überall um sie herum.«
»So ist es uns allen gegangen. Aus irgendwelchen Gründen sind diese Dinge nicht in den Bildern geblieben.«
»Deshalb hat Reginald sich das Leben genommen. Und dann die anderen.«
Tom Shafer nickte. »Vielleicht waren sie ja die Glücklicheren, weil sie den Mut hatten, dem ein Ende zu bereiten. Aber wir haben auch gelitten, wissen Sie. Wir hatten keine Kinder, genau deswegen. Sie hatte jedes Mal eine Fehlgeburt.«
»Das tut mir leid.«
Ein unangenehmes Schweigen brach aus und verdichtete sich in dieser kleinen staubigen Ecke im Nirgendwo. Tom Shafer ergriff schließlich wieder das Wort, sprach jetzt aber mehr zu sich selbst: »Meine Frau glaubt noch immer, sie könne uns hier drinnen schützen. Sie weiß es halt nicht besser. Ich ertrage es nicht, wenn sie sich aufregt. Nicht hier. Sie müssen bald gehen.«
»Sie haben sie verbrannt.«
Tom Shafer sagte nichts und nickte auch nicht.
»Und sie haben Hessen umgebracht. Gemeinsam. Ich weiß, dass Sie es getan haben. Sie und Arthur Roth und Reginald. Ich werde Ihnen deswegen keinen Ärger machen. Ich möchte nur wissen, warum es Lillian verweigert wurde, zu uns nach Amerika zu kommen. Das hatte sie ja vor. Sie schrieb es in ihre Tagebücher. Aber etwas in diesem Haus hat ihren Ehemann dazu gebracht, sich umzubringen. Und die gleiche Sache hat sie bis zu ihrem Tod hier festgehalten. Ich möchte wissen, wie Felix Hessen das alles nach seinem Tod geschafft hat. Können Sie mir das sagen?«
Tom Shafer schüttelte verzweifelt den Kopf. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was er war. Ich weiß nicht, was Betty Ihnen erzählt hat, aber er
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