Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
und sein Gesicht wirkte jetzt wie ausgetrocknet und verzerrte sich so sehr, dass es unangenehm war, ihn anzusehen.
»Nach dem Zweiten Weltkrieg. Alle kannten ihn. Mrs. Roth, meine Großtante, die Shafers. Er verschwand dann spurlos. Wussten Sie das?« Apryl blickte Seth eingehend an, um nicht die leiseste Änderung seines Gesichtsausdrucks zu verpassen.
»Nein«, stieß er hervor. Dann bemühte er sich, seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen. »Wie hieß er? Dieser Maler? Ich hab mal Kunst studiert.«
Es war interessant, dass er von einem Maler sprach, obwohl sie das gar nicht erwähnt hatte. Sein Körper und seine verängstigten Augen verrieten ihn. Er wusste etwas. Er verbrachte die Nächte hier, er hörte und sah, was hier vor sich ging. Sie erschauerte, wenn sie sich vorstellte, was in den Korridoren des Hauses nachts alles unterwegs war. Was aus diesem leeren, aber noch immer aktiven Apartment herausdrang. Dieser Wohnung, die Mrs. Roth gekauft hatte, damit niemand hineinkonnte. Als wollte sie den Ort eines Verbrechens vor der Öffentlichkeit abschirmen. Stephen hatte ihr mitgeteilt, dass sie das Apartment vor fünfzig Jahren gekauft hatte und es seitdem leer stand. Piotr und Jorge hatten verständnislos dreingeblickt, als sie versucht hatte, sie über die Vergangenheit von Betty Roth und dem Ehepaar Shafer auszufragen. Aber Stephen war beunruhigt gewesen. Und Seth fing an zu zucken.
»Felix Hessen.« Sie sah Seth abwartend an.
Er blickte ins Leere und kniff die Augen zusammen, als versuchte er, den Namen irgendwo einzuordnen. »Klingt irgendwie vertraut. Aber ich kennen keinen Maler, der so heißt.«
»Von ihm sind nur Zeichnungen erhalten geblieben. Und er hat sich mit der Gesellschaft wegen seiner politischen Ansichten überworfen. Er war Faschist. Er hat sich mit allerhand schrägen Dingen beschäftigt. Mit Okkultismus zum Beispiel. Hat Kadaver gezeichnet und solche Sachen. Ziemlich abseitig. Dann ist er hier eingezogen, und eines Tages war er weg. Ist mit einem Mal aus diesem Haus verschwunden. Haben Sie nie davon gehört?«
Seth stand hastig auf. Er sah aus, als müsste er sich übergeben. Er rieb sich mit der Hand über den Mund und schloss die Augen. Dann rannte er zu seinem Pult. Griff nach Papier und Stift. »Felix Hessen, sagten Sie?« Er konnte nur noch flüstern. »Das klingt deutsch.«
»Er war halb Österreicher, halb Schweizer.«
»Das ist unglaublich«, murmelte er vor sich hin und kritzelte den Namen auf seinen Notizblock.
Seine Zähne waren fleckig. Braun. Sie hatte keine Ahnung, was dieser junge Mann durchgemacht hatte, aber das Ausmaß von Vernachlässigung, Trauer und Anspannung bei ihm deutete darauf hin, dass er eine schwere Last trug. Vielleicht war er depressiv. Ja, manches an seinem Verhalten deutete auf eine manisch-depressive Veranlagung hin. Sie kannte einige Anzeichen von ihrer Mutter und von Tony, ihrem Mitbewohner zu Hause.
»Warum also ausgerechnet hier?« Sie konnte die Frage nicht unterdrücken.
Seth schien jetzt mit etwas anderem beschäftigt und sah zu einer bestimmten Stelle in der Eingangshalle, als wäre sie gar nicht mehr da. »Entschuldigung, was?«
»Warum Sie hier arbeiten?«
Er wurde rot. »Ich … na ja, ich bin auch ein Künstler.«
Apryl war einige Sekunden lang völlig verblüfft. »Aber warum verbringt ein Maler hier seine Nächte? Ich dachte, Maler brauchen viel Licht für ihre Arbeit.«
Er war jetzt verlegen. Auch diese Frage schien ihm sehr unangenehm zu sein. »Na ja, hier zeichne ich nur. Entwürfe. Ab und zu. Ideen. Ich dachte, das wäre der ideale Job für mich. Weil es ruhig und friedlich ist, Sie wissen schon, die Einsamkeit der Nacht. Deshalb wollten sie einen Künstler – sie dachten, das würde passen.«
»Sie?«
»Das Haus. Die Verwaltung. In der Anzeige stand, der Job sei ideal für einen Kunststudenten. Aber dann … dann hat es sich nie so ergeben. Und nun … « Er schien schon wieder abgelenkt zu sein, wirkte verängstigt und unangenehm berührt.
Auf dem schwarzen Ledersessel hinter dem Tresen lag ein großer Zeichenblock, daneben ein Kasten mit Stiften. Sie stand auf und ging auf das Pult zu. »Sind das da ein paar von Ihren Arbeiten?« Offenbar hatte sie ihn unterbrochen, als sie hereinkam. Er hatte gezeichnet, sie konnte das Bild aber nicht richtig erkennen. Nicht sehr deutlich, nicht aus dieser Perspektive. Sie beugte sich vor, strengte die Augen an und legte den Kopf zur Seite, um es besser sehen zu können.
Er
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