Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Nacht noch einmal zu betreten. Sie stützte sich mit einer Hand am Wartehäuschen einer Bushaltestelle ab. Könnte ich dort womöglich auch gefangen werden?
30
Am nächsten Abend wartete Seth hinter seinem Pult und zitterte heftig, obwohl es in der Eingangshalle sehr warm war. Er rechnete damit, dass der Junge mit der Kapuze auftauchen und ihm befehlen würde, was er als Nächstes tun sollte. Wen er dann nicht nur in den Tod führen sollte, sondern an einen Ort der ewigen Verdammnis.
Würde zuerst der Junge auftauchen? Oder kam vorher die Polizei, um mit dem Portier zu sprechen, der in der Woche Dienst gehabt hatte, als kurz hintereinander zwei ältere Hausbewohner ums Leben kamen?
Es war jetzt über zwei Stunden her, seit Stephen ihn verlassen hatte. Der Chefportier hatte auf Seth gewartet und ihm mitgeteilt, es gäbe »noch weitere schreckliche Neuigkeiten«. Mr. Shafer sei in der vergangenen Nacht gestorben und seine Frau sei völlig zusammengebrochen. »Für mich sieht das wie ein Schlaganfall aus. Die arme Frau muss wohl den Verstand verloren haben, als sie erfuhr, dass ihr Mann tot ist. Sie standen sich sehr nahe. Sie haben viel gestritten, das wussten wir alle. Aber andererseits waren sie unzertrennlich.«
Stephen hätte ihn beinahe zu Hause angerufen, um ihn zu fragen, warum er Mrs. Shafer auf seinem nächtlichen Rundgang gar nicht bemerkt hatte. Mrs. Benedetti aus Apartment Nummer fünf hatte sie nämlich am Morgen auf dem Treppenabsatz im ersten Stock entdeckt, kurz vor sechs Uhr. Sie hatte den Eindruck gemacht, als wäre sie schon die ganze Nacht hindurch ganz langsam nach unten ins Erdgeschoss gestiegen. Als sie entdeckt wurde, trug sie ihr Nachthemd, kroch zitternd auf allen vieren vor einem Spiegel herum und starrte offenbar etwas an, das sich über ihr befand. Stephen war dann angesichts von Mrs. Shafers Zustand davon ausgegangen, dass ihr Mann wohl nach Seths letztem Kontrollgang um zwei Uhr gestorben war und sein Tod die alte Dame so durcheinandergebracht hatte, dass sie niemanden alarmieren konnte.
»Verängstigt. Völlig verwirrt«, hatte Mrs. Benedetti erklärt, ehe Piotr nach oben gegangen war, um die Angelegenheit zu untersuchen. Ein Krankenwagen wurde gerufen, und Stephen ging ins Apartment der Shafers, dessen Tür offen stand. Drinnen fand er Mr. Shafer im Schlafzimmer, genauso wie Seth ihn dort verlassen hatte. »Sein Gesicht, Seth! Er muss wirklich sehr gelitten haben am Schluss. Vielleicht hat ihr das ja so zugesetzt.«
»Kann schon sein«, murmelte Seth. Sein ganzer Körper stand derartig unter Spannung, dass er das Gefühl hatte, er könnte jeden Moment zerreißen wie ein sprödes Gummiband, das zu sehr gedehnt wurde.
»Du weißt ja, wie man so sagt, Seth. Aller guten Dinge sind drei. Da fragt man sich natürlich, wer der Nächste ist, oder?«, sagte Stephen. Offenbar wollte er auf diese Weise versuchen, dem Gespräch eine amüsante Wendung zu geben. Aber Seth war das so unangenehm, dass er kaum noch Luft bekam. »Oder war Lillian etwa die Erste? Dann wären die Shafers die Nummer drei. Wer weiß? Trotzdem, Kopf hoch, was?« Er lächelte so hinterlistig, wie man es von diesem sonst so zurückhaltenden Mann niemals erwartet hätte.
War er etwa davongekommen? Es war noch zu früh, um das zu beurteilen. Früher oder später würde man ihm auf die Schliche kommen. Ganz bestimmt. Weil er ahnte, dass seine Arbeit noch nicht beendet war. Und er wusste, ein weiterer Todesfall während seiner Nachtschicht würde ganz bestimmt den Verdacht auf ihn lenken. Er hatte keinen Hinweis bekommen, dass seine Aufgabe schon beendet war. Seine Verstrickung in diesem Vergeltungsakt war noch nicht vorbei. Genau das war es ja, ein mörderischer Rachefeldzug, dem er als Werkzeug diente und dem er sich nicht entziehen konnte. Wer war nun noch übrig? Wer sonst hatte sich an diesem verkannten Genie in Apartment sechzehn vergangen? Um das herauszufinden, musste er nur sitzen bleiben und abwarten.
Aber was würde aus ihm werden, wenn sein grausiges Werk beendet war? Das fragte er sich mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengegend, dem eine Welle akuter Angst folgte. Sein Herz pochte heftig, und ihm wurde schwindelig.
Obwohl er wusste, dass er in diesem bösen Spiel eine entscheidende Rolle spielte und ihn das in Panik versetzte, schienen seine Hände sich ganz automatisch zu bewegen, wenn er nach Papier und Kohlestift griff. Als müssten sie eine Geschichte erzählen und diesen Albtraum festhalten, aus
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