Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
dem es kein Entrinnen gab. Das laute Schaben des Stifts, der über den Skizzenblock glitt, erfüllte bald schon die Eingangshalle.
Seth merkte gar nicht, wie der Abend verging, und war sich auch des schmerzhaften Drucks in seiner Blase nur dumpf bewusst. Er versank völlig in sich selbst, dorthin, wo die Welt nun ganz andere Formen hatte. Immerhin wurde er nicht von den Leuten von Claridge’s gestört, die normalerweise das Essen für Mrs. Roth lieferten, er musste kein Taxi für Glock rufen und wurde auch nicht von einer heranschlurfenden Mrs. Shafer unterbrochen. Er konnte in aller Ruhe stundenlang die Blätter mit dem füllen, was nur er und das Ding in Apartment sechzehn sehen konnten.
Nicht der Junge mit der Kapuze unterbrach sein besessenes Zeichnen, kurz nachdem die Uhr am Pult auf neun Uhr sprang, sondern eine hübsche junge Frau, die plötzlich an der Rezeption des Barrington House auftauchte.
Sie sah wirklich gut aus, war fast schon eine Schönheit. Ohne Makel. Sie hatte keine graue Hautfarbe, die notdürftig mit Make-up übertüncht worden war, wie jene Kreaturen, die er draußen sah, wenn er auf dem Weg hierher oder nach Hause war, oder denen er bei seinen seltenen Einkaufsgängen in Hackney begegnete. Sie war schlank und gepflegt und hatte eine würdevolle Haltung. Wie ein Kinostar aus alten Zeiten.
Er war ihr nie zuvor begegnet, aber er hatte Aufnahmen von ihr auf den Monitoren gesehen, wie sie durch die Tür aus dem östlichen Teil des Hauses getreten war. Eine Amerikanerin. Die Nichte oder so von der verrückten alten Lillian, die auf dem Rücksitz eines Taxis gestorben war. Die junge Frau, hinter der Piotr her war. Immer wenn er von ihr sprach, rollte er mit den Augen. Und jetzt verstand Seth auch warum.
In ihrer schwarzen Lederjacke, dem engen Rock und den hochhackigen Schuhen sah sie sehr schick aus. Ihr Haar hatte sie im Stil eines Filmstars der Vierziger frisiert, und ihre großen dunklen Augen blickten selbstbewusst in die Kamera, wenn sie durch die hintere Tür hereinkam, allein oder mit diesem Typen, der immer ein dünnes Lächeln aufgesetzt hatte. Als wüsste er etwas von einem, das er lieber für sich behielt, weil er Angst hatte, er könnte einen in Verlegenheit bringen.
Aber heute kam sie ganz allein durch den Haupteingang des Westflügels und ging auf das Rezeptionspult zu, weil sie offenbar mit ihm sprechen wollte. Sofort senkte er den Blick auf ihre nagelneuen Stiefel und begutachtete die halbdurchsichtige dunkle Nylon-Strumpfhose, die sich an ihre wohlgeformten Beine schmiegte. Dann glitten seine Augen über ihre deutlich sichtbaren Rundungen hinauf zu dem blassen Gesicht und der hübschen Stupsnase. Sie roch wirklich gut.
Sein Körper wurde warm vor Verlangen. Es war ein fremdartiges und völlig unpassendes Begehren, das er lange nicht gespürt hatte. Ihm wurde schwindelig davon. Glocks Begleiterinnen lösten ähnliche Gefühle in ihm aus, wenn sie mit ihren geschminkten Gesichtern und ihrer parfümierten Liebenswürdigkeit vor ihm standen, bereit, dem rundlich gewordenen Playboy zu Diensten zu sein. Er hatte ganz vergessen, was für ein reizvoller Anblick ein weiblicher Körper sein konnte.
Seth stand auf, zum einen, weil er sie begrüßen wollte, wie es bei allen Hausbewohnern und Besuchern üblich war, aber auch um noch einen Blick auf ihren schönen Körper werfen zu können, der sich jetzt an den Tresen lehnte.
Sie lächelte nervös. »Hallo«, sagte ihr geschminkter Mund, in dem perfekte weiße Zähne zum Vorschein kamen. Sein Selbstwertgefühl schrumpfte, und ihm wurde bewusst, dass er unfrisiert und ungewaschen vor ihr stand. Seine Uniform war eine einzige verknitterte Katastrophe. Sein Hemd war dreckig, der Kragen hatte einen Schmutzrand und fühlte sich auf seiner Haut wie Gummi an. Er erinnerte sich nicht, wann er sich zum letzten Mal rasiert oder geduscht hatte. Oder sich über solche Sachen überhaupt Gedanken gemacht hatte.
»Guten Abend, Miss. Kann ich Ihnen helfen?«
31
Es war schon eine Weile her, dass jemand in diesem Haus sie »Miss« genannt hatte. Apryls aufgesetztes Lächeln entspannte sich etwas.
Der Portier hatte einen bohrenden Blick und einen gequälten Gesichtsausdruck, doch er war jünger und weniger selbstsicher als die anderen. Sie hatte ihn hier noch nie gesehen, aber sie spürte, dass sie ihn nervös machte. Er räusperte sich und war nicht in der Lage, ihr länger in die Augen zu sehen. Diesen Blick hatte sie schon oft bei Männern
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