Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
wollte ich auch nich’, als ich endlich aus’m Rohr rausdurfte.«
Seth nickte und genoss das Gefühl von Freiheit, das er jetzt außerhalb der Kammer spürte. Ja, das war wirklich ein Unterschied, jetzt war er wirklich frei, auch wenn er das nicht genau beschreiben konnte. Alles war völlig ungewiss, aber diese neue Lebensform ließ ihn vor Freude erschauern. Das war genau das, wonach er sich sein ganzes Leben gesehnt hatte, auch wenn er es vergessen hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so begeistert gewesen war.
Bald schon dünnte sich der Wald um sie herum aus. Die Luft wurde kälter, und der Himmel hellte sich auf zu einem wässrigen Grau. »Das hier is’ mein Ding«, sagte der Kapuzenjunge. »Ich will dir mal zeig’n, wo’s mich erwischt hat. Die meisten Leute kommen zurück an den Ort, wo sie gestorben sind, hab ich dir ja schon gesagt. Und dann komm’n sie nich’ mehr raus. Bis diese Orte ganz dunkel geworden sind. Aber im Dunkeln willste echt nich’ bleiben, Kumpel. Nee, nee. Ich hab gesehen wie das is’. Das is’ dann echt das Ende. Aber wir zeigen dir, wie du zwischen den anderen da unten rumlaufen kannst. Die sind völlig fertig. Aber das heißt nich’, dass du auch so enden musst, echt nich’.«
Sie verließen den Wald und betraten eine weite Brachfläche. Hier und da wuchsen spärliche Grasbüschel aus dem Schlamm, der über seine nackten Füße spritzte und auf dem er ausrutschte. In der Ferne, weiter links, konnte Seth eine Ansammlung von Hütten mit Plastikplanen auf den Dächern und Fenstern aus zerrissenen Folien sehen. Zwischen den Hütten waren kleine, mit Unkraut überwucherte Gärten. Direkt davor lag ein Spielplatz.
Sie gingen direkt darauf zu. Überall lagen Hundescheiße und Scherben von zerschlagenen Flaschen auf dem Weg. Der Junge mit der Kapuze fing an zu springen und summte vor sich hin. Er schien zufrieden mit dem Ablauf der Dinge.
Auf dem Spielplatz standen eine Rutsche und vier Schaukeln mit Eisenketten und Plastiksitzen, die unter einem Eisengestell hingen. Außerdem gab es ein Karussell aus rostigem Metall mit Holzsitzen, das in einem Betonsockel verankert war. Die ehemals strahlende Farbe des Antriebsrads war abgenutzt und das nackte bräunliche Metall von vielen Kinderhänden blank gescheuert worden. In einer riesigen Sandkiste lagen zahllose Glasscherben und Stöcke. In einer Pfütze sah er Teile einer kaputten Puppe. Ihr Kopf war eingeschlagen, durch die blonden Locken hindurch konnte Seth das dunkle Loch sehen. Die Wunde wirkte sehr echt. Auch ein Auge fehlte. Die Gewalt, die man diesem Ding angetan hatte, ließ ihn erbeben. Neben der Puppe lagen ein paar Seiten aus einem Pornomagazin. Seth warf einen Blick darauf und sah eine Frau mit gespreizten Beinen, die einen Finger zwischen ihre violetten Schamlippen steckte.
»Ein echtes Drecksloch, stimmt’s?«, sagte der Junge.
Seth nickte und folgte ihm über den Spielplatz hinweg, bis sie zu zwei Hochhaustürmen kamen, die so weit in den wolkigen Himmel ragten, dass ihm schwindelig wurde, wenn er hinaufsah. In den Fenstern brannte kein Licht, und die Gebäude sahen verfallen aus. Die Wände waren mit Graffiti besprüht, und überall auf den Wegen zwischen den Häusern lag jede Menge Müll.
Seth sah sich die Dinge an, die um ihn herum lagen: Chipstüten, Bierdosen und Verpackungen mit verblassten Aufdrucken, ein Autoreifen, Teile eines Motors, ein kaputter Fernseher und eine Strumpfhose, die schon so oft vom Regen durchnässt und von der Sonne getrocknet worden war, dass er eine Weile brauchte, bis er erkannte, um was es sich bei diesem eigenartigen verkrusteten Ding mit den langen Tentakeln überhaupt handelte. Die Reste eines Bildes, das Kinder mit rosafarbener, gelber und blauer Kreide gemalt hatten, waren noch auf den Gehwegplatten zu sehen. Der Regen hatte es noch nicht ganz weggewaschen. Offenbar hatte es gerade erst geregnet. Der Betonboden rundherum war nass, und auf dem Gehweg standen hier und da Pfützen. Seth vermutete, dass es hier immer feucht war. Er zitterte. Schlang die Arme um seinen Oberkörper. Sogar im Sommer musste es hier schrecklich sein. Je mehr sie sich den Gebäuden näherten, umso stärker wurde der Geruch nach Urin und Chlor.
Als sie zwischen den riesigen Hochhäusern hindurchgingen, fegte ein kalter Wind dort entlang, und Seth krümmte sich, weil er fror. Als er wieder aufblickte, schienen die Gebäude zu schwanken, als könnten sie jeden Augenblick
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