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Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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einstürzen. Mit einer Hand hielt er sich an einer fleckigen Mauer fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    Nun erreichten sie einen kleinen schmutzigen Fluss, der die endlose, flache und öde Landschaft durchschnitt. Auf der Wiese rundum lagen Glasscherben und Exkremente.
    Der Schlamm am Ufer und das Flussbett waren grell orange verfärbt, und es roch dort wie in einem Küchenschrank unter dem Ausguss, wo die Plastikflaschen aufbewahrt werden. Seth spürte unter seinen Fußsohlen ein träges Sickern von Wasser, das zwischen rostigen Dosen und einem zerbrochenen Puppenwagen plätscherte. Der violette Stoff, mit dem der weiße Plastikrahmen des Wagens bespannt war, hing zerrissen herab. Weiter flussabwärts konnte Seth ein großes Kanalisationsrohr erkennen. Im Innern war es orange verfärbt. Er warf dem Kapuzenjungen einen Blick zu. Der Junge nickte wortlos. Was für ein Ort, um zu sterben.
    Sie überquerten den Fluss. So weit er sehen konnte, änderte sich nichts am Landschaftsbild: verlassene Kleingärten, leere Spielplätze, Müll und Hochhäuser verteilten sich über die öde Ebene. Das ging ewig so weiter.
    »Es gibt hier auch Klos«, sagte der Junge, ohne sich umzudrehen. »Die werd ich dir bestimmt nicht zeig’n. Und in manchen von den Wohnungen hab ich Leute gefund’n.«
    »Die dort gefangen sind?«
    Der Junge nickte.
    Seth erschauerte. »Kannst du sie nicht da rausholen?«
    Der Junge zuckte mit den Schultern. Dann sagte er: »Nee, die sind erledigt. Ich hab einen mongoloiden Jungen gefund’n. Der hatte ’ne Plastiktüte überm Kopf. Der hat nix von dem verstand’n, was ich gesagt hab. Und dann war da noch so ’ne Alte, die hat das Gas aus’m Herd eingeatmet. Sie lag am Boden in der Kotze. Ich hab auch ›n Mann gefunden, den ich nich‹ mochte. Saß im Sessel vor sei’m Ofen und wollte, dass ich seinen Schwanz angucke.«
    »Können wir weitergehen, mir ist kalt«, sagte Seth.
    »Klar. Ich wollte dir nur zeigen, wo ich gewohnt habe.«
    »Danke.«
    »Die meisten Leute könn’n solche Orte nur sehen, wenn sie träumen, und dann vergessen sie’s nach dem Aufwachen gleich wieder. Und wenn sie dann sterben, is’ es zu spät. Sie kommen zurück und warten, dass es dunkel wird.«
    Sie gingen den gleichen Weg wieder zurück, bis zum Wald.
    »Wer hat dich denn da rausgeholt?«, fragte Seth, als sie das öde Gelände verließen.
    »Ein Mann«, antwortete der Kapuzenjunge. »Er is’ ’n Künstler. So wie du. Und ’n paar Leute haben schlimme Sachen mit ihm gemacht.«
    »Wer?«
    »Er wird dir helfen. Er is’ dein Kumpel. Du triffst ihn noch, Seth. Bald. Aber vorher musst du ’ne ganze Menge für uns tun.«
    Seth setzte sich ruckartig auf und brauchte einen Moment, um zu erkennen, wo er war. Er schaute sich um und sah bekannte Dinge: den Halbkreis des Empfangspults, vor dessen Telefonanlage er saß, und das Armaturenbrett aus Metall mit den Knöpfen für Einbruch- und Feueralarm, die zu jeder Wohnung führten, das Transistorradio, die gelben Wände der weiträumigen Eingangshalle, die künstlichen Pflanzen, die ordentlich gestapelten Ausgaben vom Tatler und dem London Magazine auf dem Sofatisch und die Überwachungsmonitore direkt vor ihm, die grün-gelb schimmerten. Er fürchtete, dass ihn jeden Moment jemand anschreien könnte oder ein Hausbewohner kopfschüttelnd vor seinem Pult stünde, weil er während der Arbeitszeit eingeschlafen war.
    Aber es war niemand da. In beiden Aufzugschächten war es ruhig, die Schiebetüren waren zu. Die Haustüren waren abgeschlossen. Niemand war in der Halle gewesen und hatte ihn schlafen gesehen.
    Er blickte auf die Uhr und sah, dass es kurz vor vier war. Er hatte über drei Stunden geschlafen. Die Schmerzen in seinem Rücken deuteten darauf hin, dass er die ganze Zeit in der gleichen verkrampften Position gesessen hatte. Er atmete tief durch und zog seine Krawatte zurecht, bewegte den Kopf hin und her und hörte, wie es im Nacken knackte. Dann wurden seine Muskeln wieder warm und geschmeidiger. Er streckte die Beine aus. Die Knie waren steif geworden, weil sie über der Stuhlkante gehangen hatten und die Sitzfläche nach hinten gekippt war.
    Er hatte bei der Arbeit noch nie so fest geschlafen. Stundenlang, ohne zwischendurch aufzuwachen, das war für ihn eigentlich undenkbar. Und dann wieder dieser Traum. Er erinnerte sich an Bruchstücke davon, genug, um zu wissen, dass er wieder von diesem Ort geträumt hatte. Die Steinkammer, das Mausoleum am Rand des Waldes.

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