Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Aber diesmal war es anders gewesen. Der Junge mit der Kapuze und der verbrannten Hand war im ersten Traum nicht dabei gewesen.
Es war der Junge, der vor dem Pub gestanden und ihn beobachtet hatte. Sein Unterbewusstsein hatte die Gestalt in den Traum eingebaut. Mit erstaunlicher Klarheit erinnerte Seth sich wieder daran, wie er sich als Kind gefühlt hatte. Der Traum hatte das alles wieder zutage gefördert. Er hatte gelitten und im Schlaf geweint. Auf seinen Wangen waren noch die getrockneten salzigen Spuren der Tränen, er spürte es, wenn er gähnte. Am liebsten hätte er weitergeschlafen, um das Glücksgefühl nach der gelungenen Flucht noch einmal zu genießen. Die erfreuliche Begegnung mit seinem neuen Begleiter und das Gefühl, ein Abenteuer zu erleben.
Doch nun begann er wieder zu frieren und konnte kaum noch richtig schlucken. Seine Kehle war wund, sein Gesicht fiebrig heiß. Am liebsten hätte er sich auf den Boden gelegt und alles um sich herum vergessen. Aber ein unklares Gefühl, dass etwas nicht stimmte, brachte ihn dazu, einen Blick auf die Monitore zu werfen. Er sah sie einen nach dem anderen an, konnte aber niemanden auf dem Schwarz-Weiß-Bild der Straße oder des Rasens, der sich hinter dem Ziergarten erstreckte, oder der Tiefgarage erkennen.
Dann hielt er inne und blickte nach links. Schnupperte. Sprang auf. In völliger Panik roch er am Ärmel seiner Jacke und dann an seinen Händen. Sie rochen – nach Schwefel, vielleicht nach Schießpulver oder nach dem öligen Rauch, der von offenen Kochstellen ausgeht. Er stank bestialisch danach, genau wie das Pult und die ganze Eingangshalle bis hin zu den Aufzügen.
7
Es gab keine Spiegel im Schlafzimmer, soweit Apryl dies in dem dünnen morgendlichen Licht beurteilen konnte, das durch den Schlitz zwischen den Vorhängen fiel. Also ging sie ins Badezimmer und suchte die Fensterbänke hinter den Jalousien ab, außerdem den kleinen Schrank, in dem sich lauter Putztücher und eine Flasche mit Desinfektionsmittel befanden – aber nirgendwo war ein Spiegel. Sie durchwühlte die Sachen in den beiden Zimmern am Ende des Flurs, aber nach fünf Minuten hatte sie immer noch keinen Spiegel gefunden.
Sie ging in das Schlafzimmer zurück und durchsuchte die Kästen mit den Schminksachen, um wenigstens einen Handspiegel ausfindig zu machen. Nichts. Dann bemerkte sie einen leeren Fleck hinter der Kommode, zwischen zwei Holzsäulen. Dort hatte sich ganz bestimmt einmal ein ovaler Spiegel befunden.
Ratlos ging sie ins Badezimmer zurück und entdeckte dort vier kleine Löcher in der Wand über dem Waschbecken. Gebohrte Löcher, in denen braune Dübel steckten. Löcher für Schrauben, mit denen einmal ein Badezimmerschränkchen befestigt gewesen war. Und dieser Hängeschrank hatte garantiert verspiegelte Türen gehabt.
An der Wand hinter der Wanne bemerkte sie zwei weitere Löcher. Sie waren größer, für stärkere Schrauben, die einen viel größeren Spiegel gehalten hatten. Auch der war entfernt worden. Und trotzdem war der Raum nicht neu tapeziert oder frisch gestrichen worden. Also hatte man die Spiegel und den Schrank nicht weggenommen, um den Raum zu modernisieren, neu zu streichen oder mit anderen Kacheln zu verschönern. Die wässrig gelben Wände, die an besonders feuchten Stellen graue Flecken hatten, waren vor sehr langer Zeit zum letzten Mal renoviert worden.
Draußen im Flur, der zu den hinteren Zimmern führte, sah sie sich die Wände noch einmal genauer an. Aber auch diesmal konnte sie hier nicht mehr entdecken als bei der flüchtigen Inspektion am Vorabend, und das gefiel ihr gar nicht. Überall waren Flecken zu sehen, und die Tapete schälte sich von den Wänden. War Lillian denn so lange Zeit schon unpässlich gewesen? Hatte sie sich so lange schon um gar nichts mehr kümmern können? Es war schwer für Apryl, das zu akzeptieren, denn sie erinnerte sich noch, wie penibel ihre Oma Marilyn auf Kleinigkeiten geachtet hatte. Und wie großartig kostümiert und schön Lillian auf den Fotos aussah.
Das Geheimnis der fehlenden Spiegel machte Apryl schwer zu schaffen, zumal sie feststellte, dass an den Wänden des Apartments jede Art von Dekoration fehlte. Weder gerahmte Bilder noch irgendwelche Ornamente waren im Flur zu sehen. Auch in der Küche und den drei Zimmern nicht. Das war ihr gestern überhaupt nicht aufgefallen. Aber je länger sie die uralte Tapete an den Wänden des vollgestellten Flurs oder den unordentlichen Zimmern ansah, umso mehr
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