Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
Tennisschläger, Angelzeug, karierte Wolldecken, einen Picknickkorb, zwei alte Teeservices, matt angelaufene Silberpokale und sechs Paar Gummistiefel. Darunter und dahinter entdeckte sie auch die verschwundenen Spiegel. Acht Stück in verschiedenen Größen und Formen, alle in braunes Papier geschlagen, gut verschnürt und ordentlich verstaut.
    Und in einigen flachen Holzkästen mit sehr alten und völlig verrosteten Scharnieren fand sie auch die Bilder, die einst die Wände der Wohnung von Lillian und Reginald geschmückt hatten. Seemotive und Zeichnungen von griechischen Figuren, Lithografien und Erinnerungstafeln der Royal Air Force. Außerdem noch ein großformatiges Bild, das ganz hinten stand und zu dem sie erst am Schluss vordrang. Da war es schon früher Nachmittag, und sie verspürte einen unglaublichen Hunger und hatte bereits eine ganze Literflasche Evian ausgetrunken, die jetzt am Boden zwischen ihren Füßen herumrollte. Aber als sie das Gemälde enthüllte, waren alle ihre unangenehmen Empfindungen mit einem Schlag verschwunden, denn nun sah sie ihre Großtante Lillian und ihren Großonkel Reginald vor sich, wie sie in ihrer ganzen jugendlichen Schönheit von einem begabten Maler porträtiert worden waren. Zum ersten Mal sah sie die beiden nebeneinander in Farbe. Einige Sekunden lang starrte sie das Bild gebannt an.
    Es war ein Ganzkörperporträt. Lillians schönes, gebieterisches Gesicht blickte aus dem Rahmen heraus, als wäre sie nicht im Geringsten beeindruckt von der schäbigen Umgebung, in der ihr für die Ewigkeit festgehaltenes Bild sich nun befand. Ihr hellblondes Haar wurde von einem glitzernden Stirnreif umfasst, und ihre Stirn war glatt wie Porzellan. Ihre perfekt proportionierte Nase, die fein gezupften Bögen ihrer Brauen und die vollen roten Lippen fügten sich zu einem Bild vollkommener Schönheit. Sie trug weiße Satinhandschuhe, die ihr bis zu den Ellbogen reichten. Um ihren Hals, der wie der einer Prinzessin wirkte, schimmerte eine Perlenkette, und das lange weiße Kleid lag in wunderbar feinen Linien und Kurven an ihrem Körper an. Aber was Apryl vor allem in Erstaunen versetzte, waren die hellblauen Augen. In sie zu blicken tat weh, es war fast nicht möglich. Es waren Augen, die von großer Neugier und Intelligenz zeugten. Auch von Leidenschaft. Doch vor allem wirkten sie sehr verletzlich. Sehr.
    Man konnte nicht anders, als in diesen beiden Gesichtern eine bevorstehende große Tragödie zu sehen, wenn man wusste, dass Lillian nach dem Tod ihres Mannes offensichtlich in den Wahnsinn abgeglitten war. Es schien fast, als wäre der Maler gerade noch rechtzeitig verpflichtet worden, um ihre außergewöhnliche Intelligenz und Schönheit einzufangen, ehe sie sich in einen ganz anderen Menschen verwandelte, um schließlich in geistiger Verwirrung und Angst auf dem Rücksitz eines Taxis einen traurigen Tod zu erleiden.
    Apryl konnte sich nicht vorstellen, dass es jemals einen schöneren und erhabeneren Mann in Uniform gegeben hatte als den, der da neben dieser vornehmen schönen Dame stand. Die Vornehmheit in seinen Augen und seinen langen Wimpern wurde durch die kantigen Wangenknochen und das männliche Kinn entschärft. Der leichte Höcker auf seiner Nase deutete darauf hin, dass sie einmal gebrochen worden war, ein Makel, der seine Schönheit nicht beeinträchtigte, sondern im Gegenteil so attraktiv wirkte wie eine Narbe, die man sich bei einem Duell zugezogen hat. An den Schläfen war ein Anflug von Silber zu sehen, aber ansonsten war sein Haar tiefschwarz.
    Sie hielten sich an den Händen. Die Finger miteinander verschränkt. Es war eine so plötzliche Wahrnehmung von Intimität, dass Apryl unwillkürlich die Augen senkte. Es schien irgendwie nicht zu ihrer förmlichen Haltung zu passen, wirkte aber dennoch nicht störend. Selbst im Augenblick ihrer Verewigung wollten sie auf dieses Zeichen ihrer gegenseitigen Zuneigung nicht verzichten.
    Sie spürte einen Kloß im Hals. »Es tut mir so leid«, hauchte sie ihnen entgegen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre privaten Besitztümer durchwühlte und weil sie beabsichtigte, alles zu verkaufen, was diese beiden angesammelt hatten. Sie war ein Eindringling, eine vorlaute Göre mit staubigen Händen und schmutzigen Wangen, wo sie sich ihre Locken aus dem Gesicht gestrichen hatte, die von dem roten Haarband nur notdürftig zurückgehalten wurden.
    Das ehemalige Heim der beiden, ihre Einrichtung, ihre Wertgegenstände und das

Weitere Kostenlose Bücher