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Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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ganze Sammelsurium aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt, alles sollte auf einer Auktion an den höchsten Bieter verscherbelt werden. Aber bestimmt nicht dieses Gemälde und auch nicht der elegante große Spiegel und sicher nicht die schönen Kleider ihrer Großtante, die sie auf jeden Fall alle anprobieren wollte. Diese Dinge würde sie nach Hause mitnehmen. Dann konnte sie, aus dem armen Zweig der Familie, sich an den Kleidungsstücken ergötzen, die einst von wundervollen stolzen Menschen getragen worden waren, in deren Adern das gleiche Blut floss.
    Draußen war es schon sehr früh dunkel geworden, ungefähr um vier Uhr. Die Stadt wirkte wie ein dunkler Ozean, und der Regen prasselte gegen die Fenster des Apartments. Die Heizkörper und Rohre waren zu heiß zum Anfassen und verbannten die Kälte in Lillians Schlafzimmer in die Ecken bei den Fenstern. Apryl hatte sich mit einem heißen Bad aufgewärmt und ein scharf gewürztes libanesisches Gericht vertilgt, das sie von einem Imbiss hatte kommen lassen. Der Gedanke, dass sie gleich Lillians Kleider anprobieren würde, begeisterte sie wie ein kleines Kind, dem die Mutter erlaubt hat, mit ihren Schminksachen zu spielen. Jetzt war der Moment gekommen. Nach der ermüdenden Suche im Keller nach Dingen, die es sich zu retten lohnte, konnte sie jetzt den Abend damit zubringen, sich den extravaganten Kleidern zu widmen. Hier in dieser ehrwürdigen Umgebung würde sie den kleinen Geist spielen, der gekommen war, um sich wie in längst vergangenen Zeiten für besondere Anlässe anzukleiden.
    Als die Uhr zehn schlug, hatte sie die dunklen Gewänder, die ärmellosen Kleider und die glitzernden Kostüme anprobiert, sich Pelzmäntel darübergezogen und mit verschiedenen Hüten und Schleiern kombiniert, dank denen sie so geheimnisvoll aussah, wie man es mit keinem Make-up hinbekam. Es war schon unheimlich, wie gut die Sachen ihr standen. Sie waren etwas eng, aber nicht unbequem und passten gut zu ihren schmalen Hüften und ihrem trainierten Oberkörper.
    Sie legte die zahlreichen Kostüme aus Tweed, Wolle, Kaschmir, Seide und Satin und die vielen hölzernen Kleiderbügel auf dem Bett ab. Sie steckte ihr Haar zu einer typischen Victory-Roll-Frisur aus den Vierzigerjahren hoch, soweit ihr das mit den Haarnadeln aus Lillians Porzellankästchen gelang. Dann cremte sie ihr hübsches Gesicht ein und puderte sich die Stupsnase mit ihren eigenen Kosmetikartikeln und konnte nicht anders, als sich bei Lillians Parfümflakon zu bedienen, um sich einen Hauch davon an den Hals und ihre blassen Handgelenke zu tupfen.
    In den hochhackigen Schuhen oder den silbrig glänzenden Sandalen, je nach Outfit – mal ein enges Kleid mit gerade geschnittenem Box-Jackett, mal ein langes Ballkostüm mit hauchdünnem Schal – schritt sie umher, tänzelte, drehte Pirouetten und setzte sich in affektierter Haltung vor den ovalen Spiegel, den sie aus dem Käfig im Keller gerettet hatte. Alles vor dem Hintergrund des noch immer düster wirkenden Schlafzimmers der verstorbenen alten Dame, das einen bräunlichen Schatten um ihre schimmernde Silhouette legte.
    Durch den Stoff der Nylonstrümpfe ihrer Großtante schimmerten ihre Wadenmuskeln im blassen Lichtschein. Er war dünn wie Spinnweben und dabei glatt wie Glas, und darin wirkten ihre Beine viel schlanker als in den Imitationen, die sie zu Hause kaufen konnte. Mit ihren blutroten Fingernägeln, dem Rouge auf den Wangen und den falschen langen Wimpern, die sie in einer Schublade gefunden hatte, wo auch lange Opernhandschuhe lagen, wirbelte sie herum und tanzte ein paar Takte zu imaginärer Swing-Musik. Sie war wie verwandelt, es war, als wäre ihre Großtante mit einem Mal wieder zum Leben erwacht, als wäre sie hier bei ihr und in ihr.
    Völlig eingenommen von dieser ganzen Pracht, verging die Zeit für Apryl wie im Flug, und sie vergaß, dass sie die ganzen Kisten aus dem Keller schleppen, Antiquitätenhändler anrufen und sich mit dem komplizierten Verfahren eines Immobilienverkaufs befassen musste. All das würde zweifellos in den nächsten Tagen auf sie zukommen. Doch im Augenblick gab sie sich ganz der Atmosphäre und den Bildern aus der Vergangenheit hin, die ihre ganzen Gedanken und Gefühle einnahmen. Von dem Gemälde, das sie über der völlig in Unordnung geratenen Kommode aufgehängt hatte, blickten ihre Großtante und ihr Großonkel schweigend auf sie herab.
    Sie gab sich ganz ihrer Begeisterung hin … bis sie jäh erlosch. Sie hielt

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