Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
zwischen den Lippen seine Arbeiten, die aussahen wie etwas, das Pfleger in den Zellen einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt vorfanden.
    Die Bilder waren schockierend. Bestialisch in ihrer Wildheit. Absurd. Krank. Grotesk. Aber nicht ohne Wert.
    Hastig trank er einen Schluck aus seiner Wasserflasche und nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die Zeichnungen tatsächlich etwas hatten. Sie wirkten lebendig. Die düsteren Figuren mit ihren eigenartigen Gliedmaßen waren auf eine merkwürdige Art belebt. Und in den Augen konnte man einen grausamen intelligenten Ausdruck finden, eine schlaue Erkenntnis des Elends eines anderen, eine bösartige Schadenfreude, einen brennenden, grellen Ausdruck des Neids: die Augen der Welt. Dies hier hatte keine Ähnlichkeit mit den Sachen, die er bislang gezeichnet hatte. Aber es schien etwas mit jenem unklaren Drang zu tun zu haben, den er verspürt und vor dem er sich immer geängstigt hatte, jedenfalls, wenn es darum ging, diese Energie mit Kohlestift, Farbe oder Lehm zu kanalisieren. Die wenigen kargen Ergebnisse seiner früheren, eher lächerlichen Versuche ähnelten ein klein wenig dem, was hier jetzt vor ihm lag. Unpassende Schatten und Farben, mit denen schon seine Tutoren auf der Kunstschule wenig hatten anfangen können. Werke, für die er sich geschämt und die er versteckt oder vernichtet hatte. Ein Strom expressiver Bilder, den zu erkunden er zu feige gewesen war. Aber jetzt nicht mehr. Das hier war das einzig Wertvolle an seinem Talent. Er musste es einfach nur kultivieren.
    Nachdem er die Deckenleuchte eingeschaltet hatte, hockte er sich hin und sah auf das Gesicht eines ungeborenen Kindes, das gegen ein Glas gedrückt wurde und von einer bräunlichen, ätzenden Flüssigkeit umgeben war. Die Augen waren eindeutig asiatisch. Neben der Zeichnung dieses Fötus entdeckte er eine Skizze vom Kopf von Mrs. Shafer, der unordentlich in allerlei Tücher gewickelt war. Das Bild stellte sie aus drei verschiedenen Perspektiven dar. Die Augen waren klein wie Oliven und sahen schwarz und böse aus. Ein anderes Bild zeigte ihren Kopf auf einem spinnenartigen massigen Körper, dessen äußere Schale ganz glatt war und schwarz glänzte. Sie war nur teilweise mit ihrem Morgenmantel bekleidet und wirkte wie eine abscheuliche Provokation angesichts der erbärmlichen Silhouette ihres eingeschrumpften Mannes, der auf dünnen Beinchen wie ein Kleinkind auf sie zutapste.
    Außerdem gab es noch einen Entwurf der Totenmaske von Mr. Shafer, die graue, zerknitterte Gesichtszüge wie aus Pappmaschee hatte, und einen anderen, auf dem sein puppenhafter Körper zu sehen war, der sich in hauchdünnen Fäden aus dem Unterleib seiner Frau verfangen hatte. Eine letzte Skizze des ältlichen Ehepaars zeigte eine Ansammlung von Eiern, die wie feucht glänzende Perlen aussahen und neben einem Heizkörper in einer Schachtel mit Erde warm gehalten wurden.
    Seth musste lächeln. Es fühlte sich um seinen Mund herum eigenartig an.
    Aber die meisten Bilder, die er im Wahn hingekritzelt hatte, als sich in seinem Kopf für kurze Zeit etwas geöffnet hatte, zeigten eine einzige bekannte Figur.
    Bekleidet mit einem Parka, den Kopf in der Kapuze versteckt, um sich vor ungebetener Neugier zu schützen – so hatte Seth den einsamen Jungen immer wieder abgebildet. Mit einem schwarzen Nichts statt einem Gesicht.
    »Großer Gott.« Er sah sich im Zimmer um, bemerkte die Suppendosen, die sich auf dem Kühlschrank stapelten, die kaputten Schränke, die dünnen, durchsichtigen Vorhänge, die sich in der Zugluft bauschten, den zerbröckelnden Teppichboden und das Durcheinander der herumliegenden Blätter. Er wunderte sich, wie sehr er sich hatte gehen lassen. Das lag nur an diesen Nachtschichten. Woran sonst, es war die Folge massiven Schlafmangels. Und des Überlebenskampfes in London. Der Einsamkeit, der Enttäuschung und des verzweifelten Bemühens, mit den Dingen des Lebens klarzukommen. Vielleicht war es ja auch alles vorherbestimmt. Als wäre heimlich beschlossen worden, ihn hierherzubringen. Ihn in die Ecke zu treiben, um ihn zu zwingen, die Kontrolle zu verlieren, um alle Schichten von ihm abzupellen, bis er alles, was er je gelernt hatte, in Zweifel zog und schließlich in jene Regionen seines Selbst hinabgezogen wurde, wo die ganz finsteren Dinge zum Vorschein kamen. Er war an jenen Ort geführt worden, wo sich drei Jahrzehnte Lebenserfahrung angesammelt hatten, die gefiltert worden und zu Boden gesunken waren, um

Weitere Kostenlose Bücher